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Sterne im Sand

Sterne im Sand

Titel: Sterne im Sand
Autoren: Patricia Shaw
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sich leben als Angehöriger der weißen Oberschicht?
    Der hochnäsige Sekretär hatte ihn an die gemeinen Kerle in den schäbigen Hafenbüros erinnert, die ihn warten ließen und wie Dreck behandelten, weil er ein Abo war. Daran war er gewöhnt. Doch Mr. Winters’ Sekretär hatte den Kapitän ebenfalls mit diesem eisigen, beleidigenden Blick bedacht, als habe er kein Recht, hier zu sein, und verschmutze die Luft oder den Boden.
    Logan hatte es aufgrund seiner schlechten Augen nicht bemerkt, sonst wären sie binnen einer Minute wieder auf der Straße gewesen. Oder er hätte dem höhnisch grinsenden Kerl den Hals umgedreht.
    Bei diesem Gedanken hielt Bobbo inne. Er wollte nur hören, wie dieser gleichaltrige Junge empfangen wurde. Der Junge, der so elegant war und bestimmt die Macht besaß, jedes höhnische Grinsen verschwinden zu lassen, wenn ihm danach war. Er hoffte, der Sekretär möge den Jungen ebenso grob behandeln wie ihn, was er natürlich nicht tat.
    Er hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, als der Sekretär aufstand und ihn in kriecherischem Ton begrüßte. Seine Stimme klang schrill.
    »Oh, guten Morgen! Verzeihen Sie, ich meine guten Tag, es ist schon nach zwölf. Guten Tag, Master Broderick. Kommen Sie herein, Ihr Großvater erwartet Sie bereits. Treten Sie bitte ein …«
    Die Stimme verstummte, doch Bobbo stand stocksteif da. Irgend etwas kam ihm vertraut vor. Am liebsten wäre er hineingegangen, um einem verschwommenen Klang, einem unbestimmten Gefühl zu folgen. Es hatte mit diesem Jungen zu tun, vielleicht mit seinem Namen. Was war es nur? Er konnte nicht vor noch zurück. Seine Füßen waren wie angewurzelt. Er mußte unbedingt diesem reichen Jungen folgen, ihn festhalten, ihn bitten mit ihm zu sprechen! Seine Gedanken wirbelten durcheinander wie eine Spirale, in deren Zentrum der Junge stand. Er kannte ihn, da war er ganz sicher! Sein Lächeln hatte echt gewirkt, sanft und freundlich. Er kannte es von irgendwoher.
    »Willst du den ganzen Tag da stehenbleiben?« bellte der Kapitän vom Ende des Flurs und brach damit den Zauber.
    Bobbo tauchte ein wenig aus seiner Versunkenheit auf. Wie war er nur auf die Idee gekommen, er könnte einen so eleganten Jungen kennen? Doch der Name hatte wie ein Signal gewirkt, das ihn in eine ferne Vergangenheit stieß, hin zu diesem Jungen, der so alt sein mochte wie er selbst. Wie gebannt bewegte er sich auf die Tür zu, hörte, wie der Junge von seinem Großvater begrüßt wurde … hörte plötzlich Lachen und Scherze, roch warmes Brot in einer Küche, war umgeben von Frauen, atmete Staub ein, den allgegenwärtigen Staub, sah das glückliche Spiel am Flußufer, das Seil, mit dem sie sich übers Wasser geschwungen hatten …
    »Was ist los mit dir?« rief der Kapitän, dessen gebeugte Silhouette sich vor der Eingangstür abzeichnete. Der Augenblick der Erinnerung glitt davon.
    Bobbo schüttelte die nostalgische Stimmung ab und fragte sich, was sie ausgelöst haben mochte. Die Tatsache, daß der Junge einem alten Mann und einem Schwarzen höflich begegnet war, machte ihn noch lange nicht zu einem Freund; er hatte Bobbo gar nicht richtig wahrgenommen. Dennoch, es war eine ungewöhnliche Begegnung gewesen, die er dem Kapitän gegenüber niemals erwähnen würde.
    »Wie lange soll ich denn noch warten?« brüllte Logan jetzt wütend.
    Bobbo zuckte die Achseln. »Ich komme schon.«
    Teddy Broderick öffnete die Tür, um nach der Quelle des Lärms zu sehen, doch er bemerkte nur, wie der schwarze Junge den Flur entlanglief. Eine Sekunde lang empfand auch er ein Gefühl von Nostalgie. Als er sehr klein gewesen war, hatte er mit schwarzen Kindern gespielt, die immer noch einen besonderen Platz in seinem Herzen einnahmen.
    Dann wandte er sich wieder seinem Großvater zu, der darauf drängte, Nanny nicht zu lange warten zu lassen.
    Als Teddy kurz darauf noch einmal auf den Flur hinausschaute, waren der alten Mann und der junge Schwarze verschwunden.

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Über Patricia Shaw
    Patricia Shaw wurde 1929 in Melbourne geboren und lebt heute in Queensland an der Goldküste Australiens. Über viele Jahre leitete sie das Archiv für "Oral History" in Queensland und schrieb zwei Sachbücher über die Erschließung Australiens. Erst mit 52 Jahren entschied sie sich ganz für das freie Schriftstellerleben und hat seither 19 Romane veröffentlicht.

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Über dieses Buch
    Als Austin Broderick in den Westen Australiens zieht, um eine Schafzucht aufzubauen, wagt er nicht zu
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