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Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Titel: Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
Autoren: Susanne Conrad
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hätten trösten können. Dabei hilft es oft schon, einfach nur da zu sein und denen, die einen Verlust zu bewältigen haben, einfach zuzuhören.
    Da mischen sich Hilflosigkeit und mangelndes Einfühlungsvermögen mit Ignoranz und dem Unbehagen, sich überhaupt mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen.
    *
    Die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod empfinden viele Menschen als morbide, schlichtweg erschreckend. Eine Freundin, der ich von meinem Buchprojekt erzählte, schaute mich entsetzt an: »Warum tust du dir das an?«
    Wir wollen uns die Konfrontation mit dem Tod nicht »antun« – nicht bei anderen und schon gar nicht bei uns selbst. Das Verdrängen funktioniert auf allen Ebenen, auch wenn es nur darum geht, Vorsorge zu treffen, sich dem Thema ganz nüchtern und sachlich zu nähern.
    Als ich mich in meinem Umfeld kürzlich umhörte, wer denn schon ein Testament oder eine Patientenverfügung aufgesetzt habe, da kamen Antworten wie: »Ach, da hab ich doch noch Zeit«, »Das ist ja viel zu früh«, »Mit so was mag ich mich noch nicht befassen«, einer zeigte sich geradezu abergläubisch: »Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, dass es Unglück bringt, sich jetzt schon darum zu kümmern«, oder es gab auch die ganz grundsätzlich abwehrende Einstellung: »So was brauche ich nicht, das wird sich dann schon finden«, oder »Sollen doch die anderen sich darum kümmern, wenn’s so weit ist«. Jedoch ist es aus mehrfachen Gründen keine gute Idee, Vorsorgemaßnahmen aufzuschieben oder gänzlich abzulehnen – aber dazu komme ich noch.
    Diese Haltung des »Wegschauens« und Ignorierens, wenn es um das Thema Tod geht, ist neu, ein modernes Phänomen. In früheren Zeiten war es schlechterdings unmöglich, dem Tod aus dem Weg zu gehen, ihn zu verdrängen. Er war allgegenwärtig. Im Mittelalter rafften Pest, Hungersnöte und Kriege Millionen dahin. Die Säuglingssterblichkeit war hoch, die Lebenserwartung dramatisch niedrig – noch im 17. Jahrhundert erlebten nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen ihren zehnten Geburtstag. Hatten sie den hinter sich gelassen, waren die Aussichten deutlich besser, alt werden zu können. Viele Kinder starben schon bei der Geburt, wie unzählige Mütter auch, die aufgrund der völlig unzulänglichen hygienischen Verhältnisse oft das Wochenbett nicht überlebten, wenn sie nicht schon während der Geburt ihr Leben ließen. Etliche Krankheiten, die heute relativ ungefährlich sind, weil sie behandelt oder durch eine Impfung verhindert werden können, waren bis ins 19. Jahrhundert hinein noch ein Todesurteil. Diphtherie und Keuchhusten, Masern, Mumps und Wundstarrkrampf wurden nicht nur Kindern zum Verhängnis. Eine harmlose Wunde konnte zu einer schweren Infektion führen und ein baldiges Ende bedeuten. Es wurde massenhaft gestorben, oft plötzlich und schnell. Langes Siechtum war eher selten. Der Tod war den Menschen vertraut, von Kindesbeinen an. Er gehörte zum Leben und konnte jeden jederzeit ereilen. »Media vita in morte sumus« – »mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen«, heißt es schon im 9. Jahrhundert bei Notker von St. Gallen und später bei Luther.
    Heute ist das anders: Die Lebenserwartung hat sich in den letzten 140 Jahren fast verdoppelt. In unseren Breiten ist die Ernährung gut und ausreichend, wir haben sauberes Wasser, schwere, früher tödlich verlaufende Erkrankungen sind gut behandelbar. Bei einer Aussicht auf achtzig Lebensjahre und mehr können wir es uns leisten, unser Ende zu verdrängen. Es ist ein bisschen wie bei kleinen Kindern, die die Händchen vors Gesicht halten und denken, dass sie so für alle anderen unsichtbar sind. Aber: Auch wenn wir noch so trotzig wegschauen, so tun, als ginge uns der Tod nichts an – er wird uns trotzdem finden, vielleicht viel früher oder ganz anders als wir denken.
    Unabwendbar steuert unser aller Leben auf dieses gemeinsame Ziel zu. Und wir sind die einzigen Lebewesen, die das wissen. Dass wir dieses Wissen verdrängen, ist, so behauptet Friedrich Dürrenmatt, das große Drama des Menschen.
    Warum aber verdrängen wir den Tod? Die Antwort ist einfach: Wir haben Angst.
    Die Angst
    Wenn einer keine Angst hat, hat
er keine Phantasie.
Erich Kästner
    »Angscht!« – wie ein kleines Gespenst muss ich meinen Eltern an der Bettkante erschienen sein, vielleicht drei Jahre alt, mit schreckgeweiteten Augen und blass um die Nase. »Angscht«, weil ich als Schwarzwälder Kind noch nicht vornehm »s-t« sprechen konnte, schon gar
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