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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten
Autoren: Endemann
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Kirchenkaffee stellte Elisabeth sich an den Tisch, an dem Stephanie ihren Kaffee trank.
    „Wo ist Sibylle?“, fragte sie.
    Stephanies Miene wurde besorgt. „Sie ist bei Mutter geblieben. Es geht ihr immer schlechter. Sie isst gar nichts mehr und schläft fast nur noch. Wir lassen sie jetzt gar nicht mehr allein“, erklärte sie. „Antoni hat ja sonntags frei.“
    Antoni war der polnische Pfleger, den die Heinemanns beschäftigten, wie Elisabeth wusste. Sibylle und Stephanie waren berufstätig und konnten keine „Rundum-Betreuung“ ihrer Mutter leisten.
    „Das tut mir leid“, antwortete Elisabeth.
    Frau Heinemann war vor ihrer Krebserkrankung eine treue Gottesdienstbesucherin gewesen. Elisabeth hatte sich oft beim Kirchenkaffee mit ihr unterhalten. Sie drehte sich um, weil jemand an ihrer Jacke zuppelte.
    „Mama“, sagte Markus, „können die Reinheims wieder bei uns essen? Bitte, bitte, bitte! Wir müssen unbedingt noch was zusammen machen!“
    Elisabeth sah peinlich berührt zu Thomas.
    „Nein, Markus“, sagte Thomas. „Heute essen wir mal zuhause.“
    „Dann lass Samuel doch wenigstens bis zum Essen noch bei uns spielen!“, schlug Henry vor.
    Thomas murmelte ein „Okay, aber nur bis zum Essen.“
    Elisabeth sah in die andere Richtung.
    Nach einem Mittagessen in gedämpfter Stimmung brach Elisabeth zu ihrem Spaziergang auf. Sie lief meist den gleichen Weg, ließ den kleinen Einkaufsmarkt und die Bäckerei mit ihren Brötchen-Attrappen im Schaufenster links liegen und bog in die lange Straße ein, die aus dem Ort hinaus zum Eichwald führte. Es war kalt und roch nach Schnee. Elisabeth versuchte zu erkennen, ob im Taunus Schnee lag, aber dunkle Wolken hingen dicht und schwer über dem Mittelgebirge. Der Sonnenschein vom Morgen war feucht-kaltem Wetter gewichen. Durch die Unterführung unter der S-Bahn-Linie gelangte sie an den Sportplätzen vorbei in den Wald. Blätter raschelten unter ihren Füßen. Selbst an diesem trüben Nachmittag war Elisabeth keineswegs allein im Wald. In unregelmäßigen Abständen liefen Jogger mehr oder weniger leichtfüßig an ihr vorbei. Das störte Elisabeth kein bisschen. Es war beruhigend, nicht ganz allein im Wald zu sein.
    Als sie nach anderthalb Stunden wieder in den Ort hineinkam, wurde es schon dämmrig. Sie fühlte sich besser, der Kopf war gelüftet. Nur ein wenig verdarb die Erinnerung an den Streit mit Thomas das Gefühl von Erholung. Sie störte wie eine versteckte Dreckecke im geputzten Haus. Man musste ja nicht unbedingt hinsehen, vergaß sie aber nie ganz.
    Elisabeth ging an schön geschmückten Fenstern vorbei und nahm sich vor, endlich mit den Kindern Fensterschmuck zu basteln, es war ja schon der zweite Advent. Bei dem Gedanken, wie nahe Heiligabend war, zog sie die Schultern unwillkürlich hoch. Gefühlt war es für sie allerfrühestens der erste Advent, wenn sie es sich aussuchen könnte, lieber erst Anfang November.
    Eigentlich war sie ein Weihnachtsfan. Sie liebte Weihnachtsmärkte und Glühwein, auf dem Sofa, in eine Decke eingewikkelt, Weihnachtsfilme zu sehen. Auch das Fensterschmuck-Basteln mit den Kindern machte ihr Spaß, jedes Jahr entstanden neue Kunstwerke. Aber vor ein paar Jahren musste jemand einen Zeitraffer in den Advent gebaut haben. Die Tage rasten an ihr vorbei, dass die Adventskalendertürchen klapperten, und es war so viel zu tun. Geschenkideen mussten erdacht, Geschenke gekauft und eingepackt werden. Zeil und Main-Taunus-Zentrum hatten ab November eine Menschendichte wie die Londoner U-Bahn im Berufsverkehr. Die Anzahl der Weihnachtsfeiern in den Schulen und Vereinen nahm inflationäre Ausmaße an und jedes Mal sollte man Plätzchen mitbringen. Die Musikschule lud zu Weihnachtskonzerten.
    Ratgeber rieten zum Priorisieren, weniger ist mehr. Aber es war keine Option, einfach nicht hinzugehen, wenn die eigenen Kinder mit gekämmten Haaren im Sonntagsstaat ihre Stücke vortrugen. Das konnte noch so schief sein, Elisabeth hatte immer Tränen der Rührung in den Augen. Und dann war da noch das Krippenspiel. Und Thomas mit seinen handgeschnitzten Holzköpfen. Elisabeth holte tief Luft. Ihre Brust fühlte sich an wie im Schraubstock.
    An der Kreuzung zum Kirchplatz begegnete sie Paul Kramer, dem Ortspolizisten. Paul spielte mit Thomas und Henry freitagabends Handball. Elisabeth und er waren zusammen zur Schule gegangen. Sie blieben einen Moment stehen, um sich zu unterhalten.
    „Sag deinen Jungs mal einen schönen Gruß von mir, sie
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