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Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)

Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)

Titel: Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)
Autoren: Holly-Jane Rahlens
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T-Shirts und Blusen, die sie aus reiner Faulheit nicht aufhängte, und diversem anderen Krimskrams. Sie sah eine hölzerne Klapperschlange, die sie auf einem Kunsthandwerkmarkt gekauft hatte, 500 Rubel von Babuschka Olga, Wert: ungefähr 12 Euro, ihren Basketball, Nagellack. Ihr Rucksack lag auf dem Boden neben dem blauen Seidensatinbeutel mit den Sternen und Schneeflocken. Vor ein paar Tagen hatte sie ihn zu Oma Josephines 83 . Geburtstag getragen. Sie waren nicht lange geblieben, da Oma Josephine müde war. Seit ihrer Operation hatte sie immer wieder Herzbeschwerden. Isabel wirkte ganz besorgt, wenn sie über Josephine redete. Stella mochte gar nicht daran denken. Niemand mochte das.
    Stella zog ihren weißen Laborkittel aus dem Rucksack und ließ ihn fallen, suchte weiter nach ihrem Federmäppchen, fand es und nahm eine Ersatzpatrone für den Füller heraus. Sie drehte die Musik auf ihrem Computer laut und hatte die Patrone gerade gewechselt, als es klopfte. Es war Marco. Er hatte ein Bündel weiße T-Shirts und Unterwäsche im Arm.
    «Mama macht Kochwäsche», sagte Marco und ging zu ihrem Schreibtisch. «Nur weiße Sachen. Hast du was?» Er sah die Seite mit den Kritzeleien und lachte. «Kunsthausaufgabe?»
    «Sehr lustig.» Stella seufzte. «Ich versuche ‹Ein Tag aus dem Leben einer Siebtklässlerin› zu schreiben. Ich brauche einen guten ersten Satz. Frau Schiefelbein sagt, der erste Satz muss dem Leser zufliegen und ihn umarmen.» Sie zeigte auf den Boden, wo ihr weißer Laborkittel lag. «Den kannst du mitnehmen. Er muss gewaschen werden.»
    Marco ließ sein Wäschebündel auf den Laborkittel fallen, hob Stellas Basketball auf und dribbelte im Zimmer herum.
    «Lass das!», rief Stella.
    Marco versenkte den Ball in einem Netz, das über der Tür befestigt war, fing ihn auf und warf ihn zu Stella. Sie wich dem Ball aus, ließ ihn gegen den Schreibtisch knallen und abprallen. «Hau ab!»
    Marco hob die Wäsche auf. «Ich wollte nur mal deine Hirnzellen ankurbeln.»
     
    Mikhail war der Koch in der Familie. Heute hatte er Marcos Lieblingsgericht gemacht: seine berühmten
Pelmeni
, was sich am ehesten als russische Maultaschen beschreiben lässt, gefüllt mit würzigem Hackfleisch und angerichtet mit zerlassener Butter und Zwiebeln. Stella mochte
Pelmeni
zwar auch ganz gern, aber sie vergötterte die berühmten Buchweizen-
Blini
ihres Vaters, Pfannkuchen mit Lachs, Schmand und Dill. Er versprach, am Wochenende welche zu machen. Isabels Lieblingsgericht war alles, solange sie es nicht kochen musste. «Dein Vater kann mir vorsetzen, was er will, mir ist es recht», sagte sie, aß den letzten Bissen vom Teller und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab.
    Gegenüber vom Esstisch fing die Waschmaschine ihren lauten letzten Schleudergang an.
    «Hey, Papa», sagte Stella und hob die Stimme, um die Waschmaschine zu übertönen. «Ich hab eine Idee. Was hältst du davon, morgen für Mama
Pasta zinci mollis
zu machen?»
    «Pasta was? Hast du das Rezept?», erwiderte er, denn er nahm sie ernst.
    «Du bist vielleicht ein Witzbold», sagte Isabel zu Stella. Sie drehte sich zu ihrem Mann. «Das ist eine weiche Zinkpaste. Gegen Windelausschlag und andere Hautprobleme.» Sie stellte ihren und Stellas Teller in die Spülmaschine.
    «Mm, lecker», sagte Mikhail.
    «Wie geht es mit deinem Aufsatz voran?», fragte Isabel und räumte das restliche Geschirr ab.
    Stella verzog das Gesicht. «Kommt noch. Mir fehlt nur der erste Satz.»
    «Frau Schiefelbein meint», sagte Marco, «‹der erste Satz muss dem Leser zufliegen und ihn umarmen›. Damit hat sie uns vor zwei Jahren auch schon genervt.»
    Isabel wusch ihre Hände, ging zur Waschmaschine und öffnete die Tür. Der frische Duft von Waschpulver und Chlor erfüllte den Raum. Die Wäsche strahlte weiß, wie in einer Fernsehwerbung.
    «Deine Lehrerin hat recht», sagte Mikhail. «In der Musik ist es genauso. Mit den ersten Tönen eines Songs wird die emotionale Stimmung des ganzen Stücks festgelegt.» Er schaute Stella an. «Was sagt diese Stiefelbein sonst noch?»
    Stella und Marco lachten.
    «
Schiefel
bein!», sagte Stella. «Sie sagt viel. Gestern meinte sie zum Beispiel, wir sollten uns nie dazu zwingen, etwas zu lesen, nur weil wir glauben, wir müssten es. Sie sagt, wenn wir ein Buch nicht mögen, sollen wir es beiseitelegen, und vielleicht gucken wir irgendwann später wieder rein und es gefällt uns.»
    Marco jauchzte, als er das hörte, und warf den Kopf zurück.
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