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Stefan Bonner und Anne Weiss

Stefan Bonner und Anne Weiss

Titel: Stefan Bonner und Anne Weiss
Autoren: Generation Doof
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mit Aroma sollte daher heute mindestens ein Upgrade zum Chai Latte macchiato erfahren.
Chinesisch, türkisch, amerikanisch – egal! Wir essen am liebs ten auswärts und bestellen dabei Dinge, die wir nicht mal richtig aussprechen können und die sensationell ungesund und kalorien reich sind. Man ist, was man isst, aber die wahren Nährwerte sind ohne aushängende Kalorientabelle nicht so einfach zu erkennen. Allerdings sind selbst Scheingesundernährer nicht vor Trendfallen gefeit.
    13:00 Uhr, im Ami-Café. Nach dem Abhängen in der Kantine mit Daniel haben wir uns einen kleinen Verdauungsspaziergang zwecks Frischluftzufuhr verdient. Auf dem Weg besteht die Möglichkeit, sich mit Kaffee zu versorgen. Wir betreten ein trendiges amerikanisches Kaffeeröster domizil.
    Eine junge Dame steht vor der Theke und überlegt, was sie neh men soll. Sie trägt figurbetonte Kleidung und wäre ein Aushän-geschild für jede Diätberatung. Die grün beschürzte Bedienung hinter dem Tresen wird schon leicht nervös, denn andere Kunden scharren bereits mit den Füßen. Dem Mädchen ist anzusehen, dass sie die Gefährlichkeit der einzelnen Kalorienbomben gegeneinan-der abwägt. Ihr Blick hängt lange sehnsuchtsvoll an der Schokola-dentorte.
    Dann schüttelt sie kaum merklich den Kopf und sagt: »Einen Latte macchiato und eine Rosinenschnecke. Aber den Kaffee mit fettarmer Milch, bitte.«
    Die Bedienung lächelt und reicht das Gewünschte. Sie weiß, dass die Rosinenschnecke laut Kalorientabelle dreihundert Kalorien mehr enthält als das Stück Schokotorte, das sich viele ihrer weiblichen Gäs-te verkneifen und stattdessen vermeintlich weniger gehaltvolle Teil chen bestellen. So erfüllend kann ein Verkaufsjob sein.
    Die Begegnungen der ersten Tageshälfte haben vor allem eines gezeigt: Etikette ist etwas, das unsere Generation allenfalls vom Marmeladenglas her kennt. Was Manieren, Erscheinungsbild oder Ernährung angeht, liebt die Generation Doof es geschmacksfrei. Korrektes Auftreten? Das zählt für uns ebenso wenig wie angemesse ne Kleidung. In puncto Essen sind wir beim Wunschspeiseplan eines Fünfzehnjährigen stehen geblieben. Woran liegt es, dass uns schein bar grundlegende Eigenschaften abgehen, die man einem normal intelligenten und vernunftbegabten Menschen zuschreiben würde?
    Hotpants mit achtzig – Warum wir nicht erwachsen werden wollen Erinnern wir uns noch einmal kurz an Annes Nachbarn Sven, der niemanden über die windigen Nebenprodukte seiner Verdauung im Unklaren ließ, die Meinung anderer für einen schlechten Scherz hielt und heute dennoch als Werbe-Fachmann arbeitet. Wir haben ihn vor Kurzem zufällig beim Mittagessen in einem Düsseldorfer Café getroffen. Er trug ein leicht fleckiges Beinkleid, das ihm die Ausstrahlung eines gerade pubertierenden Hip-Hoppers verlieh, lässige Turnschuhe und ein T-Shirt, auf dem in roten Lettern die Aufschrift stand: »Hirn hat der Herr genug vom Himmel gewor fen. Er hat bloß nicht getroffen.« Sven erzählte unumwunden, dass er sich bei einem Wirtschaftsmagazin beworben hatte, um deren Internetpräsenz auf die Beine zu stellen. Außer ihm selbst hatten sich einige Agenturen um den Auftrag beworben. Die Konkurrenz trug allerdings Anzug und Krawatte, genau wie die potenziellen Kunden der Wirtschaftsgazette. »Die hatten alle einen Stock im Arsch«, schilderte Sven seinen Eindruck von Bewerberschar und Bossen.
    Vielleicht lag es an seiner eher unkonventionellen Ausdrucks-weise, aber vielleicht auch daran, dass es feste Kleiderregeln zu ge ben schien: Sven musste ohne den Auftrag von dannen ziehen. Die Schlipsträger waren nicht nur gut vorbereitet, sondern hatten ihm mit ihrem Dress ein K.o. vor der ersten Runde verpasst. Klar, man kann immer mal danebenliegen. Doch Svens ausgeprägte Mode schwäche ist kein Einzelschicksal, sondern ein Systemfehler unserer Generation.
    Die Außenseite eines Menschen ist das Titelblatt des Inneren, sagt ein persisches Sprichwort. Wieder ein Beweis dafür, dass man Perser nicht unter den Teppich kehren sollte. Die Generation Doof will sich jung und frei fühlen, und so sehen viele von uns auch aus. Jede Kritik an unserer Wohlfühlkleidung begreifen wir als Angriff.
    »Alles, was Spaß macht, hält jung.« Curd Jürgens Wir tragen die Zeichen der Jugendkultur an unserem Körper, egal wie alt wir in Wahrheit sind. Anzug und Krawatte, das Business kostüm für die erfolgreiche Frau, gepflegte Hemden oder gebügelte Blusen sind für viele von uns
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