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Staunen über den Erlöser

Staunen über den Erlöser

Titel: Staunen über den Erlöser
Autoren: Max Lucado
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so hatte er diese hier gekauft. »Ich hab eine Sondergenehmigung vom Stadtrat gebraucht, um das Ding pflanzen zu lassen«, hatte Vater stolz erklärt. (Nun, besonders schwierig war das nicht gewesen in dieser staubigen Ölstadt, wo jeder jeden kennt.)
    Der Kloß in meinem Hals wurde dicker. Ein anderer Mann hätte sich gegen sein Schicksal aufgelehnt. Oder einfach aufgegeben. Mein Vater tat keines von beiden. Er wusste, dass seine Tage gezählt waren, und ging daran, seine Angelegenheiten zu regeln.
    Der Baum war nur eine der Vorbereitungen, die er traf. Er ließ ein Sprinklersystem im Haus installieren, das Garagentor mit einem elektrischen Antrieb versehen und die Fassade neu streichen. Er brachte sein Testament auf den neuesten Stand und prüfte seine Lebensversicherungen und Altersvorsorge. Er kaufte Aktien für die Schulausbildung seiner Enkel. Er plante seine Beerdigung und kaufte ein Grab für sich und Mutter. Er bereitete seine Kinder durch Worte und Briefe auf seinen Tod vor. Und zuletzt kaufte er den Baum. Eine echte Eiche (mit der Betonung auf »echt«).
    Letzte Taten. Letzte Stunden. Letzte Worte. Zeugnisse eines gelungenen Lebens. Wie bei den letzten Worten unseres himmlischen Herrn. Als Jesus den Tod vor Augen hatte, bestellte auch er sein Haus:
    Ein letztes Gebet der Vergebung.
Eine gewährte Bitte.
Eine Bitte um einen Liebesdienst.
Eine Frage im Leiden.
Ein Bekenntnis zum Menschsein.
Ein Schrei nach Erlösung.
Ein Schrei der Vollendung.
    Zufallsworte eines verzweifelten Märtyrers? Nein. Wohl überlegte Worte, die der göttliche Erlöser auf die Leinwand der Liebe schrieb.
    Letzte Worte. Letzte Handlungen. Jedes von ihnen ein Fenster, durch das wir das Kreuz besser sehen können. Jedes ein Schlüssel zu einer Schatzkammer der Verheißungen. »Da hast du das also gelernt«, sagte ich laut, als ob mein Vater neben mir stünde. Ich musste lächeln und dachte: »Es ist viel leichter, so wie Jesus zu sterben, wenn man das ganze Leben so gelebt hat wie er.«
    Inzwischen hat mein Vater die letzte Wegstrecke erreicht. Die Flamme seiner Lebenskerze wird immer schwächer. Er liegt friedlich in seinem Bett, sein Körper sterbend, sein Geist lebendig. Aufstehen kann er nicht mehr. Er hat beschlossen, die letzten Tage zu Hause zu sein. Lange dauern wird es nicht mehr; bald wird der kalte Wind des Todes das flackernde Licht erlöschen lassen.
    Ich schaute ein letztes Mal auf die dünne Eiche. Dann berührte ich sie, als ob sie meine Gedanken hören könnte. »Wachse«, flüsterte ich. »Werde stark. Und groß. Du hast einen großen Schatz.«
    Als ich durch das Gewirr der Ölfördertürme nach Hause fuhr, musste ich weiter an diesen Baum denken. Jetzt ist er schwach, aber die Jahrzehnte werden ihn stärker machen. Jetzt ist er dünn, aber die Jahre werden ihn dicker machen. Und seine letzten Jahre werden die besten sein. Wie bei meinem Vater. Wie bei meinem Herrn. »Es ist viel leichter, so wie Jesus zu sterben, wenn man das ganze Leben so gelebt hat wie er.«
    »Wachse, junger Baum.« Meine Augen wurden feucht. »Werde stark. Du hast einen großen Schatz.«
    Als ich nach Hause kam, war Vater wach. Ich beugte mich über sein Bett. »Ich hab nach dem Baum gesehen«, berichtete ich ihm. »Er wächst.«
    Vater lächelte.

Kapitel 2
    Worte, die verwunden
    »Vater, vergib diesen Menschen.« (Lukas 23,34)
    Der Dialog an jenem Freitag war bitter.
    Die Zuschauer: »Steig herab vom Kreuz, wenn du Gottes Sohn bist!«
    Die religiösen Führer: »Anderen hat er geholfen, aber sich selbst kann er nicht helfen!«
    Die Soldaten: »Wenn du der König der Juden bist, dann hilf dir selbst!«
    Bittere Worte. Beißend vor Sarkasmus. Hasserfüllt. Pietätlos. War es nicht genug, dass er am Kreuz hing, zwischen zwei elenden Verbrechern? Reichten die Nägel nicht? War die Dornenkrone etwa zu weich? War die Geißelung zu kurz gewesen?
    Für manche offenbar schon.
    Petrus, ein Autor, der gewöhnlich in seinem Stil eher zurückhaltend ist, schreibt wörtlich, dass die Umstehenden Schmähungen gegen den Gekreuzigten »schleuderten« (1. Petrus 2,23). Sie redeten nicht nur, sie schrien nicht nur, sie schmissen mit Steinen aus Worten, sie wollten Jesus treffen und verletzen. »Wir haben seinen Leib gebrochen, jetzt wollen wir auch seine Seele brechen!« Und sie spannten ihre Bogen der Selbstgerechtigkeit und schossen ihre Giftpfeile ab.
    Unter all den Szenen unter dem Kreuz macht diese mich am wütendsten. Was sind das für Menschen, die noch
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