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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst
Autoren: Alain de Botton
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zweiten Mal Einspruch zu erheben, wonach ich wahrscheinlich zum ›Herrn Marquis‹ avanciert wäre.«
    Mag die vollzogene Volte auch amüsant sein; der Vorgang, der ihr zugrunde liegt, ist ein trister, denn der Maître revidiert sein snobistisches Wertsystem nicht im geringsten, sondern zieht lediglich ein anderes Register - und es kommt nur selten vor, dass wir einen Marquis de Saint-Loup an unserer Seite haben, der die Welt von unserem Seelenadel überzeugt. Gewöhnlich müssen wir unser Mahl an dem anderen Tisch beenden, dort, wo es eisig zieht.
     

 
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    Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Begriff des Snobs in England zur gleichen Zeit in Mode kam wie das Sittenbrevier, denn diese Bücher hatten die Aufgabe, ihren ängstlich bemühten Lesern beizubringen, wie man ein Publikum beeindruckt, dessen Wahrnehmungsfähigkeit auf äußere Anzeichen von Bedeutsamkeit beschränkt bleibt.
    Beliebte Bücher dieses Genres hießen »Ratschläge zur Etikette« (1836), »Die Manieren der guten Gesellschaft« (1838), »Die Kunst der Höflichkeit« (1841) und »Korrekt sprechen - Ein Taschenratgeber zur Beförderung der höflichen und akkuraten Konversation« (1876). Die Autoren (die sich hinter Bezeichnungen wie »Ein Mann von Welt«, »Eine englische Lady von Geburt« oder »Ein Angehöriger des Adels« versteckten) bereiteten ihre Leser auf eine Welt vor, die offenbar nur zu geneigt war, alle Fragen nach inneren Werten zugunsten einer akribischen Erforschung von Rangfragen zu ignorieren.
    Das Bedenkliche an diesen Büchern waren vielleicht weder ihre Autoren noch ihre Leser, sondern diejenigen Zeitgenossen, vor deren willkürlichen Urteilen ihre Ratschläge Schutz gewähren wollten.
    »Die Manieren der guten Gesellschaft« beschwor das Bild gesellschaftlicher Kreise, die den Wert eines Menschen daran ermessen, ob er in der Lage ist, einen Fisch auf elegante Weise zu zerlegen: »Fisch muss mit einem großen, flachen Silbermesser oder Fischmesser zerteilt werden, niemals aber mit einem gewöhnlichen Messer«, erklärte der Autor (der sich nur als »Der Mann im Clubfenster« zu erkennen gab). »Alle größeren Fische wie Steinbutt müssen vom Kopf zum Schwanz in der Mitte geschnitten werden. Dorsch hingegen wird quer geschnitten, und ein kleines Stück der Schwimmblase sollte bei jeder Portion mit gereicht werden.«
    Bei einem Spaziergang mit Freunden, so lehrte der amerikanische Autor des »Handbuchs geselliger Umgangsformen« (1873), »darf der Herr mit zwei Damen am Arm gehen, aber unter keinen Umständen darf eine Dame den Arm von zwei Herren nehmen«. Er befand auch darüber, welche Haltungen in einem Salon verboten waren und wie man sich für einen Geschäftstermin kleidete.
     

    Unschickliche Haltungen
    1. Stützt die Arme in die Hüften.
    2. Stützt beim Sitzen die Ellbogen auf die Knie.
    3. Sitzt rittlings auf dem Stuhl und behält den Hut auf.
    4. Beschmutzt die Tapete, indem er sie mit der Hand berührt, isst einen Apfel für sich allein und steht mit gekreuzten Beinen.
    5. Stellt den Fuß aufs Stuhlpolster.
    6. Kippelt mit dem Stuhl, beschmutzt die Wand, indem er den Kopf anlehnt, und raucht in Gegenwart der Damen.
    (Aus: Manual of Social Forms, 1873)
     

    Schlecht proportioniert.
    Schultern wirken schmal und hängend. Rock am Schoß zu breit und zu kurz. Hosen zu weit und zu kurz. Keine abgesetzten Handgelenke.
    Elegante Erscheinung.
    Schultern breit und gehoben.
    Rock schlank und anliegend in der Hüfte. Hosen angemessen
    lang, weißer Kragen und Manschetten markieren Hals und Handgelenke in schicklicher Weise.
    [Aus: Manual of Social Forms, 1873)
     
    Mehr als hundert Jahre später führt »Debretts neuer Ratgeber für die Etikette« (1996) noch immer vor, wie das Gehobene verlässlich vom Minderwertigen zu scheiden sei: »Toilet ist und bleibt das schlimmste Vergehen [im mündlichen Ausdruck]. Lavatory und loo gelten hingegen als akzeptabel. Lounge ist immer unangebracht. Drawing room oder sitting room sind vorzuziehen. Zum Tee isst man jam und nicht preserve.
    Man tragt scent und kein perfume. Wenn man sich verhört, sagt man sorry oder verwendet gar das ziemlich abrupt klingende what, niemals aber pardon.«
    Man darf sich vom Anachronismus dieser Beispiele nicht täuschen lassen; Snobs sind keineswegs einzig auf aristokratische Manieren fixiert; geht die Macht auf andere Gruppierungen über, legen sie ebenso strikt Wert auf den Dialekt der Straße oder eine proletarische Herkunft. »Ein anständiger
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