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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
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aufgepepptes Farmerinnenkleid aus Baumwolle.
    Naserümpfend ließ sie ihre Hefty-Tüte in eine der Tonnen fallen und lächelte Mary Ann an. »Müll ist sehr aussagekräftig, kann ich dir nur sagen. Tarotkarten sind ein Dreck dagegen!«
    »Was würdest du sagen zu … Moment mal … vier Joghurtbechern, einer Cost-Plus-Tüte, ein paar Avocadoschalen und diversen Plastikfolien?«
    Die Frau drückte ihre Finger gegen die Stirn wie ein Medium. »Ah, ja … die Person sorgt gut für sich … wenigstens, was die Ernährung angeht. Wahrscheinlich ist sie auf Diät, und sie … richtet eine neue Wohnung ein!«
    »Unheimlich!« sagte Mary Ann lächelnd.
    »Außerdem … züchtet sie gern Pflanzen. Sie hat den Avocadokern nicht weggeworfen, und das heißt, daß sie ihn wahrscheinlich in der Küche eingepflanzt hat.«
    »Bravo!« Mary Ann streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Mary Ann Singleton.«
    »Ich weiß.«
    »Aus meinem Müll?«
    »Von unserer Vermieterin. Unserer Urmutter.« Sie schüttelte Mary Anns Hand mit festem Griff. »Ich bin Mona Ramsey … von direkt unter dir.«
    »Hallo. Du hättest sehen sollen, was unsere Mutter mir gestern abend an die Zimmertür geklebt hat.«
    »Einen Joint?«
    »Sie hat es dir erzählt?«
    »Nein. Das gehört hier zum Standardprogramm. Wir kriegen alle einen.«
    »Hat sie das Zeug im Garten?«
    »Gleich da drüben hinter den Azaleen. Sie hat den Pflanzen sogar Namen gegeben … Dante zum Beispiel, oder Beatrice, oder … Da fällt mir ein, willst du vielleicht etwas Ginseng?«
    »Was?«
    »Ginseng. Ich hab grade welchen gekocht. Komm doch mit hoch.«
    Monas Wohnung im ersten Stock war mit indischen Wandbehängen, einer Sammlung von Straßenschildern und Kugellampen aus dem Art déco verschönert. Ihr Eßtisch war eine riesige Kabeltrommel. Ihr Sessel eine umgearbeitete viktorianische Toilette.
    »Früher hatte ich mal Vorhänge«, sagte sie lächelnd und reichte Mary Ann einen Becher Tee, »aber nach einiger Zeit sah’s mir hier mit den Paisleystoffen viel zu altmodisch und … höheretöchtermäßig aus.« Sie zuckte mit den Schultern. »Außerdem … was soll’s … vor wem verberge ich denn schon meinen Körper?«
    Mary Ann schaute aus dem Fenster. »Was ist mit dem Haus da drüben …«
    »Nein … ich meine … mehr so … Vor dem Kosmos kann niemand etwas wirklich verbergen. Unter den Strahlen des Großen Heilenden Lichts sind wir alle … na ja … wahrhaft nackt. Wen schert es da, wenn man seine Haut zeigt?«
    »Der Tee schmeckt wirklich …«
    »Warum willst du als Sekretärin arbeiten?«
    »Woher weißt du, was …?«
    »Die Übermutter. Mrs. Madrigal.«
    Mary Ann konnte ihren Ärger nicht verbergen. »Sie bringt die Neuigkeiten ganz schön schnell unter die Leute, was?«
    »Sie mag dich.«
    »Hat sie dir das gesagt?«
    Mona nickte. »Magst du sie nicht?«
    »Na … ja … ich meine, ich kenn sie noch nicht lang genug, um …«
    »Sie glaubt, daß du sie abgedreht findest.«
    »Na großartig. Die Psychokiste wird gleich mitgeliefert.«
    »Findest du sie denn abgedreht?«
    »Mona, ich … Ja, ich glaube schon«, sagte sie lächelnd. »Vielleicht liegt es ja an mir. Bei uns in Cleveland gibt es keine solchen Leute.«
    »Wie schade für Cleveland.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Sie will dich in die Familie aufnehmen, Mary Ann. Versuch’s doch mal. Okay?«
    Monas gönnerhafte Art ärgerte Mary Ann. »Ich hab damit keine Probleme.«
    »Nein. Noch nicht.«
    Mary Ann nippte schweigend weiter an dem höchst merkwürdig schmeckenden Tee.
     
    Die beste Nachricht kam ein paar Minuten später. Mona arbeitete als Werbetexterin für Halcyon Communications, eine angesehene Werbeagentur am Jackson Square.
    Edgar Halcyon, der Chef, brauchte Ersatz für seine Privatsekretärin, die »ihm schwanger geworden« war.
    Mona arrangierte ein Vorstellungsgespräch für Mary Ann.
    »Sie haben doch nicht vor, wieder nach Cleveland abzuhauen, oder?«
    »Sir?«
    »Bleiben Sie auf Dauer hier?«
    »Ja, Sir. Ich liebe San Francisco.«
    »Das sagen alle.«
    »In meinem Fall ist es zufällig die Wahrheit.«
    Halcyons buschige weiße Augenbrauen zuckten nach oben. »Sind Sie zu Ihren Eltern auch so frech, junge Frau?«
    Mary Ann blieb ungerührt. »Was glauben Sie, warum ich nicht nach Cleveland zurückkann?«
    Es war gewagt, aber es funktionierte. Halcyon warf den Kopf zurück und lachte schallend. »Okay«, sagte er, um Fassung ringend. »Das war’s.«
    »Sir?«
    »Das ist das letzte Mal, daß Sie mich so
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