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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen
Autoren: H.P. Lovecraft
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dargestellt; Die paradiesischen Szenen waren beinah zu ungewöhnlich, um sie für echt zu halten, sie stellten eine verborgene Welt immerwährenden Tages dar, erfüllt von wundervollen Städten und ätherischen Hügeln und Tälern. Zu allerletzt glaubte ich Zeichen eines künstlerischen Abstiegs wahrzunehmen. Die Gemälde waren längst nicht so gut ausgeführt und viel bizarrer als selbst die unwirklichsten der früheren Darstellungen. Sie schienen einen allmählichen Verfall des alten Geschlechtes widerzuspiegeln, gepaart mit einer zunehmenden Grausamkeit gegenüber der Außenwelt, aus der es durch die Wüste vertrieben worden war. Die Gestalten der Menschen − stets durch die heiligen Reptilien repräsentiert − schienen nach und nach zu verkümmern, obwohl ihr Geist, der noch über den Ruinen schwebte, im gleichen Verhältnis zunahm. Ausgemergelte Priester, als Reptilien in prächtigen Roben abgebildet, verfluchten die Luft oben und alle, die sie atmeten, und eine schreckliche Abschluß−Szene zeigte einen primitiv wirkenden Menschen, vielleicht einen Pionier des antiken Irem, der Stadt der Säulen, wie er von den Angehörigen der älteren Rasse in Stücke gerissen wird.
    Ich dachte daran, wie sehr die Araber die Stadt ohne Namen fürchten, und war froh darüber, daß, abgesehen von dieser Stelle, die grauen Mauern und Decken blank waren.
    Während ich das Schaugepränge dieser historischen Wandgemälde betrachtete, hatte ich mich dem Ende der niedrigen Halle fast genähert und bemerkte ein Tor, durch das all dieses phosphoreszierende Licht drang. Darauf zukriechend stieß ich über das, was dahinter lag, einen Ruf höchster Verwunderung aus, denn anstelle neuer und hellerer Räume lag dahinter eine endlose Leere gleichmäßig strahlenden Glanzes, wie man sie sich vorstellen könnte, wenn man vom Gipfel des Mount Everest auf ein Meer sonnenbestrahlten Nebels blickt. Hinter mir lag ein so enger Gang, daß ich darin nicht aufrecht stehen konnte, vor mir lag eine Unendlichkeit unterirdischen Glanzes. Vom Gang in den Abgrund hinabführend, befand sich der obere Teil einer Treppenflucht −
    kleiner, zahlreicher Stufen, wie jene in den dunklen Gängen, die ich durchmessen hatte − aber nach einigen Fuß verbargen die leuchtenden Dämpfe alles Weitere. Gegen die linke Wand zu geöffnet, befand sich eine massive Messingtür, unglaublich dick und mit phantastischen Flachreliefs geschmückt, die, wenn geschlossen, die ganze innere Lichtwelt von den Gewölben und Felsgängen abschließen konnte. Ich sah mir die Stufen an und wagte im Augenblick nicht, sie zu betreten. Ich berührte die offene Messingtür, konnte sie jedoch nicht bewegen. Dann sank ich flach auf den Steinboden nieder, mein Geist entflammt von wunderbaren Erwägungen, die selbst meine todesähnliche Erschöpfung nicht zu bannen vermochte.
    Als ich mit geschlossenen Augen ruhig dalag, ganz meinen Gedanken hingegeben, fiel mir manches, das ich auf den Fresken nur beiläufig wahrgenommenhatte, in neuer und schrecklicher Bedeutung wieder ein −
    Darstellungen, die die Stadt ohne Namen in ihrer Glanzzeit zeigten − die 8
    Vegetation des umgebenden Tales und die entfernten Länder, mit denen ihre Kaufleute Handel trieben. Die Allegorie dieser kriechenden Kreaturen gab mir durch ihr allgemeines Vorherrschen Rätsel auf, und ich fragte mich, warum man ihr in dieser so wichtigen gemalten Historie so genau folgte. In den Fresken war die Stadt ohne Namen in Größenverhältnissen dargestellt, die denen der Reptile entsprachen. Ich fragte mich, wie ihre wirklichen Ausmaße und ihre Großartigkeit gewesen sein mochten, und dachte einen Augenblick über gewisse Ungereimtheiten nach, die mir in den Ruinen aufgefallen waren.
    Ich fand die Niedrigkeit der urtümlichen Tempel und unterirdischen Korridore merkwürdig, die zweifellos aus Rücksichtnahme auf die dort verehrten Reptil−Gottheiten so ausgehauen worden waren, obwohl sie zwangsweise die Anbeter zum Kriechen nötigten. Vielleicht erforderten die dazugehörigen Riten das Kriechen, um diese Geschöpfe nachzuahmen. Keine religiöse Theorie konnte indessen einigermaßen erklären, warum die waagrechten Gänge in diesen schrecklichen Abstiegen so niedrig sein mußten wie die Tempel, oder niedriger, da man darin nicht einmal knien konnte. Als ich dieser kriechenden Geschöpfe gedachte, deren schreckliche, mumifizierte Körper mir so nahe waren, überkam mich erneutes Angstbeben, Gedankenzusammenhänge sind etwas
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