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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen
Autoren: H.P. Lovecraft
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dem der Sonnenuntergang mich abgehalten hatte. Ich nahm mein Päckchen und brach zum Hügelkamm auf.
    Ich habe gesagt, daß die ununterbrochene Monotonie der welligen Ebene eine Quelle unbestimmbaren Grauens für mich gewesen sei. Ich glaube, das Grauen war noch stärker, als ich den Gipfel des Hügels erreichte und auf der anderen Seite in eine Art unermeßlicher Höhle oder Canyon hinuntersah, für dessen schwarze Tiefen der Mond noch nicht hoch genug stand, um sie auszuleuchten.
    Ich fühlte mich wie am Ende der Welt, als ich über den Rand in das unergründliche Chaos ewiger Nacht spähte. Durch mein Grauen flössen merkwürdige Erinnerungen an das »Verlorene Paradies« und Satans schreckliche Klettertour durch das urtümliche Reich der Dunkelheit.
    Als der Mond höher am Himmel emporstieg, konnte ich sehen, daß die Abhänge des Tales nicht ganz so steil waren, wie ich mir eingebildet hatte.
    Vorsprünge und Felsvorsprünge gaben den Füßen beim Abstieg leidlich guten Halt, während nach einem Abfall von ein paar hundert Fuß der Neigungswinkel sehr flach wurde. Von einem Impuls vorwärtsgetrieben, den ich nicht richtig analysieren kann, kraxelte ich mit Mühe über die Felsen und stand auf dem sanfteren Abhang darunter, in stygische Tiefen starrend, wohin noch nie ein Lichtstrahl gedrungen war.
    Mit einem Male wurde meine Aufmerksamkeit von einem großen, merkwürdigen Objekt auf dem gegenüberliegenden Hang gefesselt, das ungefähr hundert Yard vor mir steil aufragte und das im Schein der neugeschenkten Strahlen des höhersteigenden Mondes weiß schimmerte. Ich versicherte mich sehr bald, daß es nur ein riesiger Stein war, aber ich war mir eines bestimmten Eindrucks bewußt, daß seine Konturen und sein Standort nicht ausschließlich Werk der Natur waren. Eine nähere Untersuchung erfüllte mich mit Empfindungen, die ich nicht auszudrücken vermag; denn trotz der ungeheueren Größe und seines Standorts an dem Abgrund, der auf dem Meeresboden geklafft hatte, seit die Welt jung war, stellte ich außer allem Zweifel fest, daß das seltsame Objekt ein wohlgeformter Monolith war, dessen riesige Masse Handwerkskunst und vielleicht die Verehrung lebender und 13
    denkender Kreaturen erfahren hatte.
    Benommen und erschrocken, dennoch nicht ohne einen gewissen Entzückensschauer des Wissenschaftlers oder Archäologen, untersuchte ich meine Umgebung genauer. Der Mond, nun dem Zenit nahe, schien unheimlich und lebhaft über der ragenden Tiefe, die den Abgrund säumte, und enthüllte die Tatsache, daß eine ausgedehnte Wassermasse am Grunde dahinfloß, die sich nach beiden Seiten dem Auge verlor und die beinah meine Füße benetzte, als ich auf dem Abhang stand. Auf der anderen Seite des Abgrundes umspülten die Wellchen das Fundament des zyklopischen Monolithen, auf dessen Oberfläche ich jetzt beides, Inschriften und rohe Skulpturen ausmachen konnte. Die Schrift war in einer Art Hieroglyphen, die mir unbekannt und mit nichts vergleichbar war, das ich je in Büchern gesehen hatte, sie bestand zum größten Teil aus stilisierten Wassersymbolen, wie Fischen, Aalen, Kraken, Schalentieren, Mollusken, Walen und dergleichen. Einige Zeichen repräsentierten offenbar Dinge des Meeres, die unserer modernen Welt unbekannt sind, aber deren verwesende Körper ich auf der dem Meer entstiegenen Ebene bemerkt hatte.Es waren indessen die bildlichen Darstellungen, die mich am meisten in Bann zogen. Wegen ihrer enormen Größe über das dazwischenliegende Wasser gut zu erkennen, war eine Reihe von Flachreliefs, deren Darstellungen den Neid eines Dore erweckt haben würden. Ich glaube, daß diese Dinge Menschen darstellen sollten − zum mindesten eine bestimmte Sorte Menschen, obwohl diese Geschöpfe sich wie Fische in einer Unterwasserhöhle vergnügend dargestellt wurden, oder wie sie einem monolithischen Schrein Ehren erwiesen, der sich anscheinend ebenfalls unter Wasser befand. Ich wage es nicht, ihre Gesichter und Gestalten im einzelnen zu schildern, denn die bloße Erinnerung daran läßt mich schwindlig werden. Grotesk über die Einbildungskraft eines Poe oder Bulwer hinaus, waren sie in großen Umrissen verdammt menschlich, trotz Schwimmflossen an Händen und Füßen, widerlich dicker und schlaffer Lippen, glasig hervorquellender Augen und anderer Züge, die der Erinnerung wenig angenehm erscheinen. Merkwürdigerweise waren sie im Verhältnis zu ihrer dargestellten Umgebung völlig unproportioniert ausgemeißelt worden; denn
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