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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen
Autoren: David Ambrose
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Sergeant bei den amerikanischen Truppen und hatte sich von seiner Mutter scheiden lassen. Sie hatten ihn nie wiedergesehen. Nur sie allein kannten die Wahrheit. Es schweißte sie zusammen.
    Etwa zu diesem Zeitpunkt begann Scott, seine Mutter zu fragen, wer sein wirklicher Vater war. Sie erzählte ihm, es sei ein Mann gewesen, den sie ganz zu Anfang in Italien kennen gelernt hatte, der aber dann gestorben war. Wenn er Einzelheiten wissen wollte, wechselte sie entweder das Thema oder sie ignorierte seine Fragen. Schließlich wurde ihm klar, dass die Erinnerung sie offenbar schmerzte, und er sprach nicht mehr darüber.
    Bevor sie nach New York abreisten, schnitt seine Mutter sich die Haare und färbte sie. Wenn er alte Fotos von ihr betrachtete, sah er, wie sehr die Jahre sie verändert hatten. Sie sah immer noch gut aus, aber das etwas ausdruckslose Gesicht, das sie als Starlet gehabt hatte, war heute von Entschlossenheit gekennzeichnet. Manchmal liefen alte Filme von ihr im Fernsehen. Es wäre ihm schwer gefallen, sie in diesen Streifen wiederzuerkennen.
    Anfänglich fürchtete sich Scott vor der Stadt New York. Sie kannten keine Menschenseele. Ellen nahm nacheinander einige Jobs an und fand sich schließlich in der Strumpfabteilung an der Lexington Avenue wieder. Scott ging in die Grundschule und wurde allmählich ein echter kleiner Amerikaner, obwohl er sich immer ein wenig anders als die anderen Kinder fühlte. Es lag nicht daran, keinen Vater zu haben – das ging anderen Kindern ebenso. Das Gefühl kam eher daher, dass er und seine Mom ein geheimes Leben führten: Sie waren nicht die, für die man sie hielt. Sie waren etwas Besonderes.
    Und dann änderte sich wieder alles. Mom hatte eine Freundin namens Madeleine Carlyle gefunden. Scott konnte sich nicht erinnern, wie sie sich kennen gelernt hatten – wahrscheinlich war es ein Zufall. Madeleine war ein oder zwei Jahre älter als Mom, schien aber einer völlig anderen Generation anzugehören. Ehrlich gesagt fand Scott sie ein wenig unheimlich. Sie hatte offenbar genug Geld, um ohne Arbeit leben zu können, schien aber außer Mom und ihm niemanden zu kennen, und auch das nur, weil Mom sich um diese Freundschaft bemühte. Das war nett von ihr, denn Madeleine schien ziemlich einsam zu sein. Sie besaß weder Freunde noch Familie und war nie verheiratet gewesen.
    Sie kannten Madeleine etwa ein Jahr, als sie starb. Er erinnerte sich genau, weil er damals gerade sechzehn geworden war und Mom ihn kurz nach seinem fünfzehnten Geburtstag zum ersten Mal Madeleine vorstellt hatte. An dem Tag, als sie starb, hatte Mom sie nach Hause eingeladen. Es war ein Sonntag gewesen. Scott, der nie wusste, was er mit Madeleine reden sollte und sie ziemlich langweilig fand, freute sich, als Mom ihm Geld für einen Kinobesuch zusteckte.
    Als er heimkam, war Mom in einer sehr merkwürdigen Verfassung. Sie räumte gerade den Tisch ab, wo sie und Madeleine zu Abend gegessen hatten. Er musste sich setzen, und Mom eröffnete ihm, dass sie ihm etwas sehr Wichtiges zu sagen hatte. Sie sagte, Madeleine sei an einem Herzanfall gestorben. Ihre Leiche lag nebenan in Moms Bett.
    Sie erzählte ihm, dass Madeleine ihnen ihr gesamtes Geld hinterlassen hatte, allerdings unter einer seltsamen Bedingung: Mom sollte von jetzt an leben, als sei sie Madeleine, und sie sollten so tun, als ob die tote Frau Mom sei.
    Das fand er zwar ziemlich ungewöhnlich, sagte aber, wenn Mom es okay fände, hätte er nichts dagegen. Und dann passierte noch etwas Ungewöhnlicheres. Er hatte die Fruchtsaftflasche geöffnet, die auf dem Tisch stand – Madeleine trank niemals Alkohol und Mom ebenfalls nicht, wenn die beiden zusammen waren – und begann gerade, sich ein Glas einzuschenken. Mom riss ihm das Glas weg, und für den Bruchteil einer Sekunde sah er einen ihm völlig unbekannten Ausdruck von Panik in ihrem Gesicht. Doch sie hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Sie erklärte ihm, der Saft sei schlecht geworden, nahm die Flasche, goss sie in den Ausguss und nahm eine neue Flasche aus dem Kühlschrank.
    Später gab sie ihm die Schlüssel zu Madeleines Wohnung und sagte ihm, er solle dort warten. Scott wusste, wo die Wohnung lag, denn er war oft mit Mom bei Madeleine gewesen. Sie schärfte ihm ein, weder das Telefon abzunehmen noch mit irgendwem zu sprechen. Sie sagte, sie wolle sich noch um alles kümmern und am nächsten Morgen nachkommen.
    Als sie kam, erschrak Scott. Sie sah völlig verändert aus. Mom trug die
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