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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste
Autoren: bayer
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inzwischen in diesem biblischen Alter, dass er alles behaupten kann, selbst die wildesten Sachen, da die Leute ohnehin annehmen, dass es in seinem ›Oberstübchen‹ nicht mehr ganz stimmt.«
    Sie war in Silvestros Boot mitgefahren, weil sie stets großes Interesse an seiner Arbeit hatte. Sein Großvater hatte sich einst mit dem Druck von hebräischen Büchern einen Namen gemacht, aber durch die Talmud-Verbrennung, die von der Stadt angeordnet worden war, hatte er einen solchen Verlust erfahren, dass sein Enkel das Drucken aufgeben musste und seinen Lebensunterhalt nun mit dem Handel von Handschriften bestritt. Alvise, der Schauspieler, der wie sie in Cannaregio wohnte und als Agent und Kurier für ihre Sache tätig war, wollte zusammen mit Benedetto, dem zweitgrößten Drucker in Venedig und ebenfalls Buchhändler, kommen. Marcello, der sich auf okkulte Bücher spezialisiert hatte, war bereits am frühen Morgen auf die Insel gefahren, um für seine Mutter dort Gemüse einzukaufen. Die Idee, das Boot mit dieser Tarnung in ein braves Transportboot zu verwandeln, das keinerlei Aufsehen erregte, gehörte mit zu ihren Bemühungen, den kritischen Augen der Inquisition zu entgehen.
    Als Crestina Leonardo jetzt am Ufer stehen sah, die Hand vor die Augen zum Schutz gegen die Sonne, hatte sie das Gefühl, dass er weniger gut aussah als früher, auch wenn sie nicht hätte sagen können, woraus dieses Anderssein bestand. Es hätten Sorgen sein können mit der Druckerei. Der Absatz seiner Bücher war im letzten Halbjahr nicht so besonders gut gelaufen, weil der Papierpreis sich wieder einmal erhöht hatte. Es hätte natürlich auch sein können, dass es Schwierigkeiten mit diesen verbotenen Büchern gab, die sie auf geheimen Pfaden in die Stadt oder aus der Stadt herausschmuggelten, sie nach Norden brachten, nach Süden, je nachdem, wie man die Gesetze dieser Serenissima am besten unterlaufen konnte. Ein Sport, dem sie alle noch immer huldigten, ganz gleich, ob man sie dabei ertappen würde oder nicht.
    Sie sprang ans Ufer, Leonardo streckte ihr die Hand entgegen, sie rutschte zurück, er zog sie mit gerunzelter Stirn zu sich heran, hielt sie an sich gepresst. Eine Sekunde zu lang, sagte sie sich, aber vermutlich war er sich dessen nicht bewusst. Hätte man ihn gefragt, wie er dieses ›Ansichdrücken‹ bezeichnen würde, so hätte er mit aller Selbstverständlichkeit und Verblüfftheit geantwortet: »Schwesterlich natürlich, wie sonst.«
    Sie hätte ihm sagen können, dass es dies nicht war, weder jetzt noch in früheren Zeiten, und dass auch dies einer der Gründe war, weshalb sie nur noch ungern zu diesen Treffen kam. Dass sie sich fürchtete vor einem neuerlichen Heiratsantrag, von dem Leonardo glaubte, dass er ihm zukam. Hatte er die Schwester seines engsten Freundes Riccardo nicht fast fünf Jahre lang behütet wie das kostbarste Gut, das er sich vorstellen konnte? Hatte er sich nicht gegenüber allen anderen Frauen so zurückhaltend verhalten, dass manche bereits annahmen, er wolle überhaupt nichts mit Frauen zu tun haben, obwohl sie um ihn herumschwirrten wie die Mücken um das Licht? Und hatte er sich nicht zum ersten Mal Taddeos Spott einhandeln müssen, dass er sich wie ein Vormund um Crestinas Hab und Gut kümmere, so, als ob es sein eigenes sei, ohne dass er von dieser Fürsorge auch nur den geringsten Nutzen hatte?
    »Du bist magerer geworden«, sagte sie, als sie sich von ihm gelöst hatte und ihn begrüßte. »Du siehst aus, als würde Taddeo nicht mehr so gut kochen wie früher.«
    Leonardo lachte.
    »Ganz so gut ist es auch nicht mehr, manchmal verwechselt er Zucker mit Salz, und die Pasta gelingt ihm meist auch nur noch mäßig, weil er es nicht lassen kann, während des Kochens nebenher in irgendwelchen Büchern zu schmökern. Aber immerhin haben wir ja noch Nunzia, wenn er keine Lust hat zum Kochen und ihm das erst zehn Minuten vor dem pranzo einfällt.«
    Alvise und Benedetto vertäuten ihr Boot an der anderen Seite der Insel, kamen mit Marcello zusammen zu ihnen herüber und begrüßten Crestina überschwänglich. Sie zogen sich hinter die Netze der Fischer zurück, warfen ihren Ledersack in die Mitte und kippten den Inhalt von ihrer la bocca vor sich aus. Ein Vorgang, der stets gleich ablief: Die Denunziationen wurden wie eh und je in den Schlitz des Kastens geworfen, der sich am Gildenhaus der Buchhändler, Verleger und Drucker befand.
    Crestina ließ die Männer die Ausbeute begutachten, erkundigte
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