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Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas
Autoren: Paul Auster
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aufwache, ich werde alt während des Tages, und ich sterbe abends, wenn ich schlafen gehe. Das ist nicht meine Schuld. Ich bin heute so gut in Form. Ich bin viel besser als jemals zuvor. Dreizehn Jahre lang war der Vater fort. Er heißt auch Peter Stillman. Sonderbar, nicht? Daß zwei Menschen denselben Namen haben können. Ich weiß nicht, ob das sein richtiger Name ist. Aber ich glaube nicht, daß er ich ist. Wir sind beide Peter Stillman. Aber Peter Stillman ist nicht mein richtiger Name. Vielleicht bin ich also letzten Endes gar nicht Peter Stillman.
    Dreizehn Jahre, sage ich. Oder sagen sie. Das ist egal. Ich weiß nichts von der Zeit. Aber was sie mir sagen ist: Morgen gehen die dreizehn Jahre zu Ende. Das ist schlecht. Auch wenn sie sagen, das ist es nicht, ist es doch schlecht. Ich soll mich nicht erinnern. Aber ab und zu erinnere ich mich doch, trotz allem, was ich sage.
    Er wird kommen. Das heißt, mein Vater wird kommen. Und er wird versuchen, mich zu töten. Danke. Aber ich will das nicht. Nein, nein. Nicht mehr. Peter lebt jetzt. Ja. Er ist nicht ganz richtig im Kopf, aber er lebt trotzdem. Und das ist doch etwas, oder nicht? Darauf können Sie Gift nehmen. Hahaha. Ich bin jetzt hauptsächlich Dichter. Jeden Tag sitze ich in meinem Zimmer und schreibe ein neues Gedicht. Ich erfinde alle Wörter selbst, so wie damals, als ich im Dunkeln lebte. So beginne ich, mich an etwas zu erinnern, indem ich vorgebe, wieder im Dunkeln zu sein. Ich bin der einzige, der weiß, was die Wörter bedeuten. Sie können nicht übersetzt werden. Diese Gedichte werden mich berühmt machen. Den Nagel auf den Kopf treffen. Jajaja. Schöne Gedichte. So schön, daß die ganze Welt weinen wird.
    Später mache ich vielleicht etwas anderes. Wenn ich mit dem Dichten fertig bin. Früher oder später, sehen Sie, werden mir die Wörter ausgehen. Jeder hat nur soundso viele Wörter in sich. Und was fange ich dann an? Ich denke, ich würde dann gern ein Feuerwehrmann sein. Und danach ein Doktor. Ist egal. Das letzte, was ich sein möchte, ist ein Hochseiltänzer. Wenn ich sehr alt bin und endlich gelernt habe, wie andere Leute zu gehen. Dann werde ich auf dem Seil gehen, und die Leute werden staunen. Sogar kleine Kinder. Ja, das würde mir gefallen. Auf dem Seil zu tanzen, bis ich sterbe. Aber das hat nichts zu sagen. Es ist egal. Für mich. Wie Sie sehen können, bin ich ein reicher Mann. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Nein, nein. Nicht deshalb. Darauf können Sie Gift nehmen. Der Vater war reich, und der kleine Peter bekam sein ganzes Geld, nachdem sie ihn im Dunkeln eingesperrt hatten. Hahaha. Verzeihen Sie, daß ich lache. Manchmal bin ich so witzig. Ich bin der letzte der Stillmans. Das war eine feine Familie, oder jedenfalls sagt man das. Aus dem alten Boston, falls sie von ihr gehört haben. Ich bin der letzte. Es gibt keine anderen. Ich bin das Ende von jedermann, der letzte Mann. Um so besser, finde ich. Es ist nicht schade, daß nun alles endet. Es ist für jedermann gut, tot zu sein. Der Vater war vielleicht nicht wirklich schlecht. Wenigstens sage ich das jetzt. Er hatte einen großen Kopf. So groß wie sehr groß, was bedeutete, daß er zuviel Platz darin hatte. So viele Gedanken in seinem großen Kopf. Aber Peter war arm, nicht wahr? Und in einer schrecklichen Lage. Peter, der nicht sehen oder sagen, der nicht denken oder tun konnte. Peter, der nicht konnte. Nein. Gar nichts. Ich weiß nichts von alledem. Ich verstehe auch nichts. Meine Frau ist es, die mir das alles erzählt. Sie sagt, es sei wichtig für mich zu wissen, wenn ich auch nicht verstehe. Um zu wissen, muß man verstehen. Ist das nicht so? Aber ich weiß nichts. Vielleicht bin ich Peter Stillman, vielleicht auch nicht. Mein richtiger Name ist Peter Niemand. Danke. Und was halten Sie davon?
    Ich erzähle Ihnen also vom Vater. Es ist eine gute Geschichte, wenn ich sie auch nicht verstehe. Ich kann sie Ihnen erzählen, weil ich die Wörter kenne. Und das ist doch etwas, oder nicht? Ich meine, die Wörter zu kennen. Manchmal bin ich so stolz auf mich. Verzeihen Sie. Meine Frau sagt das. Sie sagt, der Vater sprach über Gott. Das ist für mich ein komisches Wort. Gott - God. Rückwärts gelesen heißt es dog - Hund. Und ein Hund sieht Gott nicht sehr ähnlich, nicht wahr? Wuff, wuff. Wau, wau. Das sind Hundewörter. Ich finde sie schön. So hübsch und wahr. Wie die Wörter, die ich erfinde. Jedenfalls. Wie ich schon sagte. Der Vater sprach über Gott. Er
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