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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung
Autoren: F Henz
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fordert.“ Sie lächelte Nick freundlich zu. „Deine Tessa wird nicht länger unter den Schmerzen leiden, die ihr der Riss in ihrer Seele verursacht. Ich werde ihn heilen. Sie wird nicht mehr versuchen, Dinge zu erzwingen und ihnen rastlos nachzujagen. Das ist es doch, was du willst?“
    Er wollte weit mehr als das, aber er begriff auch, dass er nicht mehr bekommen würde. Freyas Versprechen bot Tessa die Chance, die Basis, ihr Glück selbst zu finden. Auch wenn dieses Glück ihn selbst nicht einschloss. Wenn er seine Tage vergraben in Verbitterung und Einsamkeit auf Bjørendahl verbringen und für den Rest seines Lebens Astrids Andenken konservieren musste.
    Er nickte und wagte noch einen letzten Vorstoß. „Darf ich sie noch einmal sehen? Ein einziges Mal, um Abschied zu nehmen?“
    Odin öffnete den Mund, aber Freya sagte an seiner Stelle. „Ja, diese Gelegenheit sollst du haben.“
     
    „Habt ihr gehört? Ein Sterblicher ist bei Odin! Es ist Äonen her, dass einem Sterblichen Audienz gewährt wurde!“ Skuld rannte mit gerafften Röcken und fliegenden Zöpfen auf die beiden anderen Nornen zu, die neben dem Brunnen saßen. „Etwas ganz Außergewöhnliches muss passiert sein.“
    Verdandi blickte von ihrer Spindel auf. „Er erhält eine Belohnung, weil er mitgeholfen hat, den vermaledeiten Kaldak unschädlich zu machen.“
    Skuld beugte sich über den Brunnenrand. „Schnell, dann können wir sehen, was passiert. Oh, der Mann ist aber hübsch. Die Beinkleider dieser Zeit sind wirklich eine Augenweide. Viel besser als Strumpfhosen und schlotternde Leinenhosen.“ Sie lachte und warf ihre langen blonden Zöpfe auf den Rücken. Verdandi, die Norne der Gegenwart, war auch an den Brunnenrand getreten. Sie sah älter aus als die feenhafte Skuld, aber jünger als die weißhaarige Urd, die sich gar nicht erst die Mühe machte, aufzustehen.
    Der Wasserspiegel im Brunnen zeigte den Saal von Walhalla, in dem Nick vor der Göttertafel stand, und um Tessas Leben feilschte. Skulds Augen wurden groß. „Ach, wie romantisch, wie traurig, wie schön. Endlich einmal ein Mann, der selbstlos für seine Liebe kämpft“, seufzte sie gerührt und legte die Hand an ihre Wange.
    „Er ist dumm“, sagte Verdandi verächtlich. „Hätte er Astrid gewählt, hätte er mehr davon.“
    „Aber das ist doch das Rührende. Er will ihr Glück. Sogar zum Preis seines eigenen Unglücks“, entgegnete Skuld entzückt.
    „Glück ist ein sehr flüchtiger Zustand“, bemerkte Verdandi verächtlich, blickte aber nichtsdestotrotz gespannt in den Brunnen. „Aber ein unwissendes kleines Mädchen wie du ist natürlich leicht zu beeindrucken.“
    „Und wenn sich das Glück verflüchtig hat, bleibt oft nichts zurück als ein Stachel“, ließ sich Urd vernehmen. „Der Stachel der Erinnerung.“
    Skuld drehte sich um und sah, wie Urd einen Daumennagel großen Dorn hochhielt.
    „Dieser Stachel hier ist jener, der in der Seele des Sterblichen steckt und ihm den Rest seines Lebens Tag für Tag und Stunde für Stunde peinigen wird.“
    „Und natürlich erwägst du nicht einmal einen Atemzug lang die Möglichkeit, den Stachel verschwinden zu lassen, um ihm den Schmerz zu ersparen“, stellte Skuld trocken fest.
    „Mein ist die Vergangenheit, und die Vergangenheit ist das Fundament der Zukunft“, entgegnete Urd von oben herab. „Je eher du das begreifst, kleine Skuld, desto eher wirst du deine Aufgabe mit der gebotenen Sorgfalt erfüllen können, statt immer nur herumzudilettieren.“
    „Mir gehört die Zukunft, weise Urd, und auch wenn du sie mir neidest, so wird sich daran niemals etwas ändern“, antwortete Skuld schnippisch.
    „Seid still, ihr beiden. Freya lässt sie Abschied nehmen“, mischte sich Verdandi ein und Skuld wandte sich wieder dem Wasserspiegel im Brunnen zu.
     
    Alles um ihn herum war grau. Es gab kein Oben und kein Unten, kein Links, kein Rechts, kein Vorwärts und kein Rückwärts. Nick sah sich um. Nach Freyas Worten hatte sich die Umgebung aufgelöst und er befand sich im wahrsten Sinne des Wortes mitten im Nichts.
    Die Konturen einer Gestalt schälten sich aus dem Grau. Die Erscheinung verlor nach und nach ihre Transparenz, so lange, bis Tessa in einem langen, fließenden Gewand aus weißem Material vor ihm stand.
    Ohne nachzudenken, streckte er die Arme aus und sie stürzte sich hinein. „Nick, mein Gott, dass ich dich wiederhabe.“
    Wilde, nackte, ungebremste Freude stieg bei ihren Worten in ihm auf. Wenn er auch
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