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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart
Autoren: Haruki Murakami
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einsame Monate als Brandwache in einer Hütte auf einem hohen Berg. Folgende Zeilen gefielen Sumire am besten:
    »Kein Mensch sollte durch das Leben gehen, ohne sich einmal der gesunden, ja langweiligen Einsamkeit auszusetzen, einer Situation, in der er allein auf sich selbst angewiesen ist und dadurch seine wahre und verborgene Stärke kennenlernt.«
    »Ist das nicht einfach toll?« sagte sie. »Jeden Tag auf einem Berggipfel zu stehen und einen Ausblick von dreihundertsechzig Grad zu haben. Aufpassen, dass nirgends schwarzer Rauch aufsteigt, und das war’s. Mehr hast du den ganzen Tag nicht zu tun. Danach kannst du lesen, schreiben, machen, was du willst. Und nachts streichen riesige Zottelbären um deine Hütte. Das ist das Leben, das ich mir erträume. Im Vergleich dazu ist ein Literaturstudium wie auf einem bitteren Gurkenende herumzukauen.«
    »Das Problem ist nur, dass man irgendwann wieder von dem Berg runterkommen muss«, wandte ich ein. Aber wie üblich machten meine prosaischen und banalen Ansichten keinen großen Eindruck auf sie.
     
    Sumire wünschte sich nichts sehnlicher, als so wild, so cool und ungehemmt zu sein wie eine Figur von Kerouac. Die Hände in die Taschen gestemmt, die Haare absichtlich zerzaust, starrte sie durch eine schwarz gerahmte Sonnenbrille à la Dizzy Gillespie, die ihr Sehvermögen nicht gerade steigerte, betont unbeteiligt in den Himmel. Fast immer trug sie ein viel zu großes Tweedjackett, das sie bei einem Trödler erstanden hatte, und Bauarbeiterstiefel. Am liebsten hätte sie sich vermutlich noch einen Bart stehen lassen.
    Mit ihren eingefallenen Wangen und dem etwas zu breit geratenen Mund konnte man Sumire nicht im landläufigen Sinne als hübsch bezeichnen. Sie hatte eine zierliche Himmelfahrtsnase, ein ausdrucksvolles Gesicht und viel Sinn für Humor, obwohl sie so gut wie nie laut lachte. Sie war nicht groß, aber ihre Stimme klang, selbst wenn sie guter Laune war, immer irgendwie aggressiv. Einen Lippen- oder Augenbrauenstift hatte sie wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben noch nie in der Hand gehabt. Ich frage mich, ob sie überhaupt wusste, dass es BHs in verschiedenen Größen gab. Dennoch hatte Sumire etwas Besonderes an sich, das einen anzog. Worin dieses Besondere bestand, kann ich nicht mit Worten beschreiben, aber sooft ich ihr in die Augen sah, leuchtete es mir entgegen.
     
    Am besten gebe ich es gleich zu: Ich war in Sumire verliebt. Schon nach unserer ersten Begegnung fühlte ich mich in ihrem Bann, und irgendwann gab es kein Zurück mehr. Lange Zeit existierte nur Sumire für mich. Natürlich nahm ich unzählige Male Anlauf, ihr meine Gefühle zu offenbaren, konnte aber in ihrer Gegenwart nie die richtigen Worte finden. Vielleicht war das im Endeffekt für mich nicht die schlechteste Lösung, denn sie hätte mich aller Wahrscheinlichkeit nach doch nur ausgelacht.
    Während ich mit Sumire befreundet war, traf ich mich mit zwei, drei anderen Mädchen (was nicht heißen soll, dass ich die Zahl nicht mehr genau wüsste. Ob es zwei oder drei waren, hängt einzig davon ab, wie man zählt). Würde ich die Mädchen, mit denen ich nur ein- oder zweimal geschlafen habe, mitzählen, wäre die Liste etwas länger. Wenn ich mit einem Mädchen zusammen war, dachte ich meist an Sumire. Zumindest war sie in irgendeinem Winkel meines Gehirns immer präsent. Natürlich war das nicht richtig, aber es ging dabei ja auch nicht um Kategorien wie richtig oder falsch.
     
    Doch zurück zu der Geschichte, wie Sumire und Miu einander kennen lernten.
    Miu hatte den Namen Jack Kerouac schon gehört und erinnerte sich vage, dass er ein Autor war. Aber um wen es sich genau handelte, wusste sie nicht mehr. »Kerouac, Kerouac… war das nicht so ein Sputnik?«
    Sumire verstand nicht, was sie meinte, und hielt beim Essen inne, um einen Moment lang zu überlegen. »Sputnik? Sputnik hieß doch dieser Satellit, den die Sowjets 1950 in den Weltraum geschossen haben. Jack Kerouac ist ein amerikanischer Schriftsteller. Ist aber ungefähr die gleiche Zeit, oder?«
    »Aber hat man diese Schriftsteller nicht auch so genannt?« fragte Miu und ließ ihre Fingerspitze auf dem Tisch kreisen, als suche sie in einem Gefäß nach einer ganz bestimmten Erinnerung.
    »Sputnik?«
    »Ja, der Name dieser literarischen Bewegung. Sie wissen schon, diese Gruppen. Wie die ›Weiße Birke‹ in Japan.«
    Endlich dämmerte es Sumire. »Beatnik!«
    Miu tupfte sich mit ihrer Serviette den Mund ab. »Beatnik, Sputnik
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