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Sputnik Sweetheart

Sputnik Sweetheart

Titel: Sputnik Sweetheart
Autoren: Haruki Murakami
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Nase wölbte sich derart kühn und verführerisch unter der Maske, dass fast alle Patientinnen bei diesem Anblick erröteten und sich sogleich in ihn verliebten, ob die Versicherung ihre Behandlung nun bezahlte oder nicht.
     
    Sumires Mutter war mit einunddreißig Jahren an einem angeborenen Herzfehler gestorben. Ihre Tochter war damals erst drei gewesen, sodass ihre einzige Erinnerung an sie der Duft der mütterlichen Haut war. Fotos von der Mutter gab es – außer ein paar Hochzeitsbildern und einem Schnappschuss kurz nach Sumires Geburt – nur wenige. Immer wieder zog Sumire das alte Album hervor und betrachtete die Bilder, auf denen eine zierliche Frau mit einer nichtssagenden Frisur befangen in die Kamera lächelte. Äußerlich machte Sumires Mutter, milde ausgedrückt, keine besonders beeindruckende Figur. Man fragte sich höchstens, was sie sich wohl bei ihrer Garderobe gedacht hatte. Sie wirkte so unauffällig, dass der Anschein entstand, sie müsse nur einen Schritt rückwärts tun, um mit der Wand hinter ihr zu verschmelzen. Sumire bemühte sich immer wieder, sich ihre Gesichtszüge einzuprägen, um ihrer Mutter vielleicht einmal im Traum zu begegnen, ihr die Hand zu drücken und mit ihr zu reden. Aber es wollte ihr nicht gelingen, denn ihre Mutter hatte ein Gesicht, das man sofort wieder vergaß. Wahrscheinlich hätte Sumire sie nicht einmal erkannt, wenn sie am hellichten Tag auf der Straße mit ihr zusammengestoßen wäre.
    Ihr Vater sprach kaum von der verstorbenen Mutter. Er war kein Mann von vielen Worten und vermied es im Allgemeinen, über seine Gefühle zu sprechen (als könnten schon Worte die Überträger von Mundinfektionen sein). Sumire erinnerte sich nicht, je mit ihrem Vater über seine tote Frau gesprochen zu haben, abgesehen von dem einen Mal, als sie noch ganz klein gewesen war und ihn gefragt hatte: »Wie war eigentlich meine Mutter?« An dieses Gespräch erinnerte sie sich noch sehr deutlich.
    Ihr Vater hatte den Blick abgewandt, einen Moment überlegt und dann geantwortet: »Sie hatte ein sehr gutes Gedächtnis und eine schöne Handschrift.«
    Eine seltsame Art, einen Menschen zu beschreiben. Hätte ein Vater seiner kleinen Tochter nicht lieber etwas erzählen sollen, das sie im Herzen bewahren konnte? Ihr Worte mit auf den Weg geben, die für sie eine Quelle des Trostes und der Wärme sein würden? Die ihr einen Halt oder wenigstens einen Anhaltspunkt für das unsichere Dasein auf dem dritten Planeten in unserem Sonnensystem gaben? Erwartungsvoll hatte Sumire die erste blendend weiße Seite in ihrem Heft aufgeschlagen, doch ihr gut aussehender Vater gehörte leider nicht zu den Menschen, die eine leere Seite zu füllen vermögen (obwohl es für Sumire so wichtig gewesen wäre).
     
    Als Sumire sechs Jahre alt war, heiratete ihr Vater wieder, und zwei Jahre später wurde ihr Bruder geboren. Auch die neue Mutter war keine Schönheit und hatte nicht einmal ein besonders gutes Gedächtnis oder eine schöne Schrift. Dennoch war sie eine liebevolle und gerechte Frau, was für ihre kleine Stieftochter Sumire natürlich ein großes Glück bedeutete. Obwohl Glück vielleicht nicht der richtige Ausdruck ist, denn schließlich hatte Sumires Vater bei seiner Wahl außerordentliche Sorgfalt walten lassen. Wenn es ihm auch an Vaterqualitäten mangelte, so war er doch bei der Wahl seiner Gefährtin konsequent, weise und realistisch vorgegangen. Die Stiefmutter liebte Sumire vorbehaltlos durch ihre lange, schwierige Pubertät hindurch, und selbst als Sumire erklärte, sie wolle die Universität verlassen, um zu schreiben, respektierte ihre Stiefmutter diesen Wunsch, obwohl sie im Grunde dagegen war. Allerdings war sie immer froh gewesen, dass Sumire schon als kleines Mädchen so gern las, und hatte sie darin bestärkt.
    Schließlich konnte die Stiefmutter den Vater sogar zu einer Vereinbarung überreden, nach der er Sumire bis zu ihrem achtundzwanzigsten Lebensjahr mit einer gewissen Summe unterstützen würde. Sollte sie es bis dahin nicht geschafft haben, müsste sie allein zurechtkommen. Ohne die Fürsprache ihrer Stiefmutter hätte Sumire möglicherweise ohne einen Heller dagestanden, wäre ohne den notwendigen gesellschaftlichen Schliff in die Wildnis gestoßen worden, die man Realität nennt und in der Humor Mangelware ist. Schließlich dreht sich die Erde nicht quietschend und knirschend um die Sonne, damit die Menschen etwas zu lachen haben und sich amüsieren.
     
    Etwa zwei Jahre, nachdem
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