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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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Weswegen entsprechende Berufsgruppen sich lieber als Sprinter, Autoren oder Vorleser bezeichnen, um das Alltägliche, das in ihrer Arbeit steckt, zu kaschieren. Der Entscheider hat dieses Problem auch, sonst gäbe es nicht inzwischen die Steigerung zum Profi- Entscheider , der sich offenbar noch viel besser zwischen A und B entscheiden kann als der normale Entscheider . Das ist nicht nur ein unbeholfener Aufwertungsversuch. Mit dem Aufkommen der Entscheider nämlich ist eine andere Arbeitsbeschreibung gänzlich verschwunden: die des Verantwortlichen. Der Entscheider trägt die Verantwortung für seine »Entscheide« nicht mehr im Namen, wir vermuten mit Absicht.

Entsorgungspark
    Müll ist ein schmutziges Geschäft. Sprache auch. Immerhin wird mit ihr gern mal versucht, dreckige Dinge sauber aussehen zu lassen. Der Entsorgungspark kann dafür getrost als Beispiel dienen. Wer etwas entsorgt, der will sich einer Sorge entledigen. Somit ist der Entsorgungspark schon einmal das Versprechen, man könne dort ein Problem für immer loswerden. Selbstverständlich wird dieses Versprechen nicht gehalten, eine vollständige Beseitigung von Müll ist kaum möglich, irgendetwas bleibt immer übrig, sei es im Meer schwimmendes Plastik, auf Halden herumliegende Schlacke oder in der Luft wabernder Rauch. Gleichzeitig suggeriert der Begriff Park eine friedvolle und blühende Landschaft, in der gefahrlos gewandelt werden kann. Angesichts übel riechender Container und lärmender Schrottpressen eine interessante Sichtweise. Geht es um Worte, ist die stinkende Branche gerne mal blumig. Vgl. auch den synonym verwendeten »Wertstoffhof«. Das schöne alte Wort »Müllkippe« trifft es da immer noch besser, auch wenn heutzutage nicht mehr viel irgendwohin gekippt wird. Merke: Wer einen Müllplatz Entsorgungspark nennt, dem sollte misstraut werden. Derjenige will offensichtlich lieber nicht sagen, worum es sich handelt und was in seinem »Lustgarten« so alles verklappt wird.

ePass
    Kurzform für eine im Jahr 2005 eingeführte Version des Reisepasses; das »e« steht dabei für elektronisch wie in E-Mail und bezieht sich wahrscheinlich auf den in der Passhülle eingeklebten sogenannten RFID-Chip. Auf dem Chip, der auch über Entfernungen von mehreren Metern ausgelesen werden kann, sind verschiedene biometrische Merkmale des Passinhabers gespeichert, derzeit die Fingerabdrücke der Zeigefinger und ein Porträtfoto. Eine Erweiterung um weitere Erkennungsmerkmale wie das Irismuster der Augen oder den genetischen Code sind denkbar und technisch kein Problem. Warum die Kurzform als offizielle Bezeichnung dient, ist nicht klar. Möglicherweise soll es modern klingen. Unter Umständen bezieht es sich aber auch darauf, dass die gespeicherten Informationen maschinenlesbar sind und eine sofortige Verknüpfung mit verschiedenen elektronischen Datenbanken erlauben und so sehr schnell sehr viel über den Inhaber verraten. Angesichts dessen müsste das Dokument eigentlich Überwachungspass heißen, somit Ü-Pass. Verteidigt wurde seine Einführung im Übrigen mit dem Argument, er bringe ein »Höchstmaß an Fälschungssicherheit«. Die übertriebene Steigerung des Begriffes deutet darauf hin, dass Passfälschungen in Deutschland auch zuvor schon sehr selten waren. Und tatsächlich, zwischen 2001 und 2006 wurden nur sechs komplett gefälschte Pässe entdeckt.

Ereignis
    Es gibt Wörter, die besagen gar nichts, die haben praktisch keinen Inhalt. Ihre Intension ist gering, heißt es dann in der Linguistik. Für Politiker sind diese Wörter so etwas wie der Hauptgewinn. Denn sie passen immer und überall und lassen sich problemlos zu beeindruckend klingenden Sätzen zusammenschrauben, die dann zwar genauso wenig aussagen, aber toll klingen. Und machen wir uns nichts vor, genau das ist das Ziel vieler politischer Reden. Warum sonst werden diese sogenannten Passepartoutwörter so gern eingesetzt? Sie haben, sagt der Linguist dazu, eine besonders hohe Extension. Nun verhalten sich Bedeutungsinhalt (Intension) und Verwendungsbreite (Extension) zueinander umgekehrt proportional. Was auch bedeutet, dass Begriffe, die besonders häufig und in verschiedenen Zusammenhängen auftauchen, besonders wenig sagen. Warum erzählen wir das? Weil es ein paar Prototypen dieser intensionsarmen Begriffe gibt. Das Ereignis ist einer davon. Es wird gern als Ersatz für Katastrophe verwendet und auch für jeden anderen unangenehmen Vorfall, vom →   Krieg bis hin zu explodierten
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