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Splitterseelen

Splitterseelen

Titel: Splitterseelen
Autoren: Sandra Busch , Sandra Gernt
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falls er echt sein sollte. Der Saphir besaß exakt dieselbe Farbe wie die Augen des Fremden und schien von innen heraus zu glühen.
    „Wer bist du?“, fragte Jason schließlich. Eine seltsame Ruhe senkte sich über ihn, jetzt, wo die Todesangst langsam nachließ. Er fühlte sich völlig erschöpft, noch stärker als nach zwei Stunden Schwimmtraining. Ihm war bewusst, dass er zu einem Mörder sprach. Dass drei Leichen neben seinem Teleskop und seinen Star Wars-Sammelfiguren lagen. Dass seine Eltern tot waren.
    Er wusste bloß nicht recht, was das alles mit ihm zu tun hatte, also lächelte er den Jungen an, der gerade das Schwert mit seinem Lieblings-T-Shirt sauber wischte.
    „Ich bin Jason Andrews“, murmelte er, als der Junge nicht reagierte. Dieser zog die Augenbrauen hoch, zögerte, gab sich endlich einen Ruck.
    „Mein Name ist Calael. Ich kenne dich schon dein ganzes Leben.“
    „Hi, Calael.“ Er war barfuß, stellte Jason zusammenhanglos fest. Draußen lag knöchelhoch der erste Novemberschnee, warum lief er barfuß? Obwohl – weiße Kleidung, barfuß, womöglich war er …
    „Bist du mein Schutzengel?“, fragte Jason eifrig. Immerhin hatte er ihm das Leben gerettet!
    Calaels Lächeln wurde finster, auf eine Art, wie kein Engel jemals lächeln würde.
    „Nein, Jason. Ich bin dein Seelenzwilling.“
    Er zwinkerte ihm zu, hob das Schwert wie zum Gruß – und verschwand.
    Jason starrte wieder aus dem Fenster. Er konnte den Mond nicht mehr sehen. An der Scheibe glitzerten Bluttropfen. Sein betäubter Verstand rang eine Weile mit dieser Beobachtung. Dann begann er anhaltend zu schreien … Und zu schreien …
    Und erwachte.
     

Jason schaltete den Wecker aus, dessen schrilles Piepsen ihn aus dem Alptraum gerettet hatte, und sank stöhnend zurück in das schweißgetränkte Kissen. Er träumte nicht mehr oft von dieser Nacht vor rund zehn Jahren, als seine heile Welt brutal vernichtet worden war, aber wenn, dann war der Schrecken nicht weniger präsent als damals.
    Nachbarn hatten die Polizei gerufen, alarmiert von den Schüssen und den lauten Schreien. Jason würde nie den Gesichtsausdruck der Beamten vergessen, die ihn aus dem Haus geholt hatten. Derjenige, der ihn trug, hatte still geweint, der andere hatte sich im Vorgarten übergeben. Zumindest hatten sie es geschafft, ihm den Anblick seiner Eltern zu ersparen. Das Bild der zerstückelten Leichen der Einbrecher reichte, es hatte sich unauslöschlich eingebrannt. Manchmal, wenn seine Freunde von Filmen oder Büchern erzählten, in denen es um Schwertkämpfe ging, flammte es wieder auf. Es war besser geworden, seit er vor drei Jahren mit Aikido begonnen hatte, einer defensiven japanischen Kampfsportart. Das Gefühl, sich im Ernstfall verteidigen zu können, half gegen die nächtlichen Ängste.
    Eine ganze Woche hatten die Ärzte ihn unter Beruhigungsmitteln dahindämmern lassen, bis er nicht mehr schrie, sobald die Wirkung nachließ. Über das, was in dieser Nacht geschehen war, hatte er zu niemandem gesprochen. Weder den Beamten noch den zahlreichen Psychologen und Therapeuten hatte er von Calael erzählt. Nicht nur, weil Jason bewusst war, dass niemand die Geschichte von einem kindlichen Todes- oder Schutzengels glauben würde – es war ihm vom Anfang klar gewesen, auch wenn er damals erst elf Jahre alt war. Nein, Calael gehörte ihm, ihm ganz allein. Er war womöglich eine Illusion, ein Produkt seines Verstandes, der unter dem Terror dieser Nacht zusammengebrochen war, obwohl er das tief in seinem Inneren nicht glaubte. Die Polizisten sprachen zumindest von einem vierten Einbrecher, der sich gegen die anderen gewandt und sie umgebracht hatte, bevor er floh. Dass Jason für die Toten verantwortlich sein könnte, hatte man zum Glück ausgeschlossen, da die Tatwaffe fehlte und er viel zu verstört gewesen war, um diese zu verstecken. Vom mangelnden Blut an ihm und seiner Kleidung ganz zu schweigen.
    Man ging davon aus, dass die Männer von der geringfügigen Beute enttäuscht gewesen sein mussten – Geld, Schmuckstücke und sonstige Kostbarkeiten hatten seine Eltern in einem Banktresor aufbewahrt. Womöglich hatten sie aus Wut über den fehlgeschlagenen Raubzug beschlossen, die Bewohner des Hauses zu töten und waren darüber irgendwie in Streit geraten.
    Jedenfalls, Jason war der erste, der zugeben würde, dass es keine Engel geben konnte. Und trotzdem … Wer sagte, dass Calael wirklich ein Engel war?
    Da Jasons Großeltern gesundheitlich zu schwach
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