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Spin

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Titel: Spin
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hunderte von Kilometern mit Fischerdörfern gesprenkelt, es wurden Touristenhotels rings um die Lagunen von Reach Bay und Aussie Harbor gebaut, und die Aussicht auf freies, fruchtbares Land lockte zahlreiche Siedler landeinwärts entlang der Flusstäler des Weißen und des Neuen Irrawaddi.
    Die bedeutendste Nachricht aus der neuen Welt in jenem Jahr allerdings betraf die Entdeckung des zweiten Bogens. Er befand sich eine halbe Welt vom ersten Bogen entfernt, nahe den südlichen Ausläufern der borealischen Landmasse, und dahinter gab es eine weitere neue Welt – anfänglichen Berichten zufolge nicht ganz so einladend wie die erste, doch das lag vielleicht nur daran, dass dort gerade Regenzeit herrschte.
     
    »Es muss noch mehr Leute wie mich geben«, sagte Diane eines Tages im fünften Jahr der Nachspinzeit. »Ich würde sie gerne kennen lernen.«
    Ich hatte ihr meine Ausgabe der marsianischen Archive gegeben, eine grobe Erstübersetzung auf einer Reihe von Speicherkarten, und sie studierte sie mit der gleichen Gründlichkeit, mit der sie sich früher der Viktorianischen Dichtung oder den New-Kingdom-Traktaten gewidmet hatte.
    Sollte Jasons Vorgehen erfolgreich gewesen sein, ja, dann gab es sicher noch mehr Vierte auf der Erde. Aber sich als solcher zu erkennen zu geben, war nichts anderes als ein Freifahrtschein in das nächstgelegene Gefängnis. Die Regierung Lomax hatte alles Marsianische zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit erklärt und unter Verschluss gestellt, und die inländischen Sicherheitsdienste waren in der Wirtschaftskrise, die auf das Ende des Spins folgte, mit weitreichenden polizeilichen Befugnissen ausgestattet worden.
    »Denkst du je darüber nach?«, fragte sie etwas schüchtern.
    Darüber, ob auch ich ein Vierter werden wollte. Indem ich mir eine Dosis der klaren Flüssigkeit aus einer der Phiolen, die ich in einem Stahlsafe im Kleiderschrank unseres Schlafzimmers aufbewahrte, in den Arm spritzte. Natürlich hatte ich darüber nachgedacht – wir würden uns dadurch ähnlicher werden.
    Aber wollte ich das? Ich war mir des Abstands, der Kluft zwischen ihrer Viertheit und meiner »profanen« Menschlichkeit durchaus bewusst, aber ich hatte keine Angst davor. In manchen Nächten, wenn ich in ihre feierlich ernsten Augen blickte, war mir dieser Abgrund sogar lieb und teuer. Denn der Abgrund ist es, der die Brücke bestimmt, und die Brücke, die wir gebaut hatten, war schön und stabil.
    Sie streichelte meine Hand, fuhr mit ihren glatten Fingern über meine strukturierte Haut, ein subtiler Hinweis darauf, dass ich die Behandlung eines Tages so oder so benötigen würde, selbst wenn ich nicht besonders scharf darauf war.
    »Noch nicht«, sagte ich.
    »Wann?«
    »Wenn ich bereit bin.«
     
    Auf Präsident Lomax folgte Präsident Hughes und auf diesen Präsident Chaykin, doch sie waren allesamt Veteranen ein und derselben Spinzeitpolitik. Sie betrachteten die marsianische Biotechnologie als neue Atombombe, potenziell jedenfalls, und im Moment gehörte sie ganz ihnen, konnte als urheberrechtlich geschützte Drohung dienen. In seiner ersten diplomatischen Depesche an die Fünf Republiken hatte Lomax diese darum ersucht, jegliche biotechnischen Informationen aus unkodierten Übertragungen vom Mars zur Erde zu verbannen. Er hatte diese Bitte mit den Wirkungen begründet, die eine derartige Technologie in der politisch geteilten und oft gewalttätigen Welt – als Beispiel führte er den Tod Wun Ngo Wens an – entfalten könnte, und bisher hatten die Marsianer mitgespielt und seinem Wunsch entsprochen.
    Doch sogar dieser zensierte Kontakt mit dem Mars hatte sein Maß an Zwietracht gesät. Die egalitäre Wirtschaftsweise der Fünf Republiken hatte Wun Ngo Wen zu einer Art Maskottchen der neuen globalen Arbeiterbewegung gemacht. Ich war reichlich schockiert, Wuns Gesicht auf Transparenten zu erblicken, die von Textilarbeiterinnen aus den asiatischen Fabrikzonen oder von Chipsockelaufsteckern aus den zentralamerikanischen Maquiladoras getragen wurden – aber ich bezweifle, dass es ihm missfallen hätte.
     
    Diane reiste zu E. D.s Beerdigung in die USA, fast auf den Tag genau elf Jahre, nachdem ich sie von der Condon-Ranch befreit hatte.
    Wir hatten in den Nachrichten von seinem Tod erfahren, wobei beiläufig erwähnt worden war, dass E. D.s Exfrau Carol sechs Monate vor ihm gestorben war, ein weiterer Schock für Diane. Carol hatte schon vor Jahren aufgehört, unsere Anrufe entgegenzunehmen. Zu
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