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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage
Autoren: Ronald Reng
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bewegte sich zwischenzeitlich mehrmals auf das Abseits zu. Nach dem Bestechungsskandal 1971 drohte der Bundesliga genauso die gesellschaftliche Ächtung wie in den Achtzigern, als der Fußball zu einem über die Maßen physischen, zynisch-defensiven Spiel zu verkommen drohte, von Schlägern als Tummelplatz benutzt. Für die Mehrzahl der Vereine schien die Bundesliga damals der sichere finanzielle Ruin.
    Nicht die Schönheit oder die Kraft des Spiels brachten die Bundesliga immer höher, sondern ein externer Faktor: das Fernsehen. In aller Unschuld begann das Aktuelle Sportstudio am ersten Spieltag 1963, die Bundesliga nicht mehr ausschließlich als Sport, sondern als Unterhaltung zu präsentieren. Diese Idee griffen die privaten Fernsehsender um 1990 mit kommerzieller Verve auf. Mit den Millionen, die das Fernsehen in die Bundesliga pumpte, schuf es über eine Strecke von zwanzig Jahren den Fußball, den es propagierte, den es brauchte: temporeich, dynamisch, in seiner Spitze spektakulär, stylish. Die Datenberge, die Analysefirmen wie Opta oder Impire heute von jeder Bundesligapartie ermitteln, zeigen eindrucksvoll, wie viel rasanter und ballsicherer das Zusammenspiel geworden ist: Ein Weltklassestürmer wie Rudi Völler hatte 1990 im Schnitt pro Partie 29 Ballkontakte und eine Chancenverwertung von 22 Prozent. Zwanzig Jahre später hatte Nationalstürmer Miroslav Klose 41 Ballkontakte pro Spiel und eine Chancenverwertung von 47 Prozent. Ein Weltklasseverteidiger wie Jürgen Kohler gewann 1990 im Schnitt pro Spiel 46 Prozent seiner Zweikämpfe und wies eine Passgenauigkeit von 80 Prozent auf. Im Jahr 2012 gewann Bayern Münchens Verteidiger Holger Badstuber 77 Prozent seiner Zweikämpfe, und 93 Prozent seiner Pässe kamen an. Das heißt nicht zwangsläufig, dass Klose, Badstuber und ihre Generation technisch bessere Einzelspieler als die Vorfahren Völler und Kohler geworden sind, sondern dass Teamwork und Spielzüge so perfektioniert wurden, dass es leichter ist, einen Zweikampf zu gewinnen, einen Pass an den Mitspieler zu bringen.
    Im Angesicht der rasanten Veränderungen wird leicht übersehen, dass der Fußball von 1963 bis 2013 in vielem, vielleicht sogar in seinem Kern gleich geblieben ist. Als der FC Barcelona und die spanische Nationalelf um 2012 mit großem Erfolg das Spiel ohne Mittelstürmer aufzogen, wurde dies als die heißeste, neueste Erfindung propagiert. Es war irritierend schön zu lernen, dass Heinz Höher diese taktische Finesse schon 1977 in Bochum erprobt hatte. Das Beispiel lehrt uns Demut, nicht immer gleich im üblichen menschlichen Reflex über die alte Zeit von oben herab zu lächeln.
    Heinz Höhers Nürnberger Freund und Präsident Gerd Schmelzer glaubt, »es mag sich alles verbessert haben, die Einnahmen, die Qualität und Attraktivität des Spiels, es mag sich alles unglaublich multipliziert haben, die Anzahl der Berichterstatter, Spielerberater, Vereinsangestellten; aber reduziert auf den Punkt, ist es immer noch das gleiche Spiel«. Man lege einmal die Zeitungsartikel von 1970, 1986 und 2013 nebeneinander, sagt Schmelzer: Es sind immer dieselben Geschichten. Sieg oder Niederlage geben die Dynamik vor. Trainer wurden in genau den gleichen Situationen 1970, 1986 und 2013 entlassen, Präsidenten trafen genau unter demselben Druck oder im selben Hochgefühl dieselben falschen Entscheidungen. Einzelne Spieler wurden genauso aufgrund der Resultate befördert oder verbannt, Vereine bewegten sich immer an ihrem finanziellen Limit, unabhängig davon, über wie viel oder wenig Geld sie verfügten. Auf den Punkt reduziert, sind die handelnden Personen in der Bundesliga von 1963 bis 2013 immer Getriebene des Spiels geblieben.
    Und trotzdem oder gerade deshalb kann kaum einer, der einmal dabei war, die Bundesliga loslassen. Es ist späte Nacht geworden nach einem lebendigen Abend mit Heinz Höher in Gerd Schmelzers Schloss. Durch Nürnbergs leere Straßen bringt mich Heinz Höhers Freund und Präsident ins Hotel zurück. »Noch einmal Präsident sein«, träumt Gerd Schmelzer laut und wider besseres Wissen, »das wäre schon was.« Die Scheinwerfer des Autos spiegeln sich in den Schaufenstern. Mit 62 sieht Schmelzer heute jünger aus als damals mit Mitte dreißig. Der Schnauzer und das Resthaar sind ab, die karierten Sakkos einem modischen Pullover gewichen, die Brille ist nun aus breitem Horn. Heinz Höher ist schon nach Hause ins Bett gegangen. Der Schlaf ist ihm heilig geblieben. Gerd
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