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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage
Autoren: Ronald Reng
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Übertragungen der Nürnberger Spiele nicht mehr. Sie hatte das lange genug mit ihrem Mann durchgemacht, jetzt ging das Bangen wieder mit Juri los, spielte er, spielte er nicht, dann die ohnmächtige Wut auf den Trainer, der Juri nicht aufstellte. Ihre Nerven, fühlte Doris, waren wie Bremsklötze mit vollends verschlissenem Gummi.
    Heinz Höher wechselte die Taktik. Er musste Juri klarmachen, was es bedeutete, Profifußballer zu sein, er musste die Leidenschaft für das Spiel in dem Jungen wieder wecken, dann würde er um seinen Status kämpfen. Und wenn Juri erst kämpfte, hielt ihn niemand auf.
    Juri, sagte Heinz Höher, für wie viel Geld würdest du mit dem Fußball aufhören?
    Weiß nicht, sagte Juri. Vielleicht für ’ne Million.
    Mensch, hör doch auf, Juri! Eine Million hast du doch wahrscheinlich schon verdient, eine Million verdienst du doch ganz leicht, wenn du heute nur ein paar Jahre in der Bundesliga spielst! Ich, sagte Heinz Höher und betonte das Wort, ich würde den Fußball für kein Geld in der Welt lassen.
    Juri antwortete nicht mehr.
    Wenn ich die Club-Hymne vor dem Spiel höre, setzte Heinz Höher noch einmal an, da kriege ich eine Gänsehaut.
    Ja?, sagte Juri. Und wissen Sie, was ich mache: Ich kotze. Mich kotzt das alles an, das Training, die Busfahrten, das Abhängen im Hotel.
    Juri, sagte Heinz Höher und wusste nicht mehr weiter: Juri.
    Zwei Jahre zuvor hatte sich Nationaltorwart Robert Enke unter schweren Depressionen selbst getötet, und wenngleich viele in der Bundesliga weiterhin allenfalls vage verstanden, was Depressionen waren, so hatte sich ein diffuser Wille ausgebreitet, psychische Probleme der Fußballer ernst zu nehmen. Heinz Höher dachte darüber nach, Nürnbergs Sportdirektor Martin Bader über Juris Lustlosigkeit zu informieren; womöglich litt er auch an einer depressiven Verstimmung? Mein Gott, dachte sich Juri, ich habe keine Depressionen. Ich habe einfach keine Lust mehr! So wie jeder mal keine Lust hat, wenn alles Mist ist. Das wird schon wieder vorbeigehen.
    Im Oktober 2011 spielte Nürnberg gegen den VfB Stuttgart. Juri Judt wurde eingewechselt. Nach drei Monaten und zehn Spielen Warten bekam er 21 Minuten. Er war eine Minute im Spiel, da gelang Nürnberg das Tor zum 2:1. Der Club verteidigte, Chandler rechts im Mittelfeld, Juri dahinter, eine doppelte Sicherung, da kam keiner durch. Wie wenig Ballkontakte ein Profi, ein Außenverteidiger zumal, in 21 Minuten hatte, vielleicht ein halbes Dutzend, und jeden Augenblick arbeitete er doch hoch konzentriert, einrücken, rausrücken, zurückrücken, den Raum versperren, sich anbieten und nicht angespielt werden. Nürnberg kassierte noch das 2:2, aber die Flanke kam vom anderen Flügel. Juri Judt hatte zuverlässig verteidigt.
    Nach dem Duschen musste er im Kabinengang an den Reportern vorbei. Sie waren durch Absperrgitter von den Spielern getrennt. Zwanzig, dreißig Journalisten standen dicht gedrängt, als beschatteten sie sich gegenseitig, um kein Zitat zu verpassen. Vom Großteil kannten die Spieler die Namen nicht. Sie reckten ihnen über die Gitter hinweg Aufnahmegeräte und Mikrofone entgegen.
    Juri Judt wurde kaum gefragt. Er stand im Ruf, auf immer freundliche Art nie etwas Substanzielles zu sagen. Er hatte sich die Floskeln für die Reporter antrainiert. So stand in jedem Zeitungstext über Juri, einen reflektierenden, sicher formulierenden Fußballer, er sei wortkarg. Er hielt es für professionell: nichts preiszugeben.
    Die Exzesse der Neunziger waren vorüber. Damals galt es als schlaue Kampftaktik, sich mit großer Klappe in den Medien zu profilieren, Gegner, Trainer oder Mitspieler öffentlich anzugreifen. 2011 war das unter Bundesligaprofis als Proletengehabe verpönt. Die ARD Sportschau, nicht mehr ran, übertrug wieder die Bundesliga. Die Moderatoren und Kommentatoren waren zwar zu einem guten Teil von ran zur Sportschau übergelaufen, weil das Fernsehpublikum zum Wohlfühlen offenbar die gewohnten Gesichter und Stimmen brauchte. Handpuppen, Schlagersänger und Akrobaten traten allerdings nicht mehr in der Sendung auf. Alles war vernünftiger geworden.
    Die 21 Minuten gegen Stuttgart mit Chandler und Juri auf dem rechten Flügel verdienten eine Verlängerung. Im nächsten Spiel, gegen Bayern Münchens unbändigen Dribbler Franck Ribéry, war eine Flügelbesetzung mit zwei defensiven Spielern vermutlich sogar genau das Richtige.
    Ribéry schwang die linke, äußere Hüfte, aber fast schon im selben Moment
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