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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage
Autoren: Ronald Reng
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macchiato ausgetrunken hatte, zahlte und in den Park zurückkehrte. Morgen würde er wieder hierherkommen, und dann musste er die Prüfung abermals bestehen, die Prüfung würde nie aufhören.
    Irgendein Verein für Juri musste sich doch finden, für solch einen anständigen Jungen mit derartigen Qualitäten, dachte er, während er den Hund laufen ließ. Irgendetwas würde ihm schon einfallen, ihm kamen doch immer irgendwelche gute Ideen. Oder etwa nicht? Borussia Dortmund, nicht Bayern München, war deutscher Meister geworden; Real Madrid, nicht Barcelona, hatte die spanische Liga gewonnen. Heinz Höhers Ersparnisse von 22000 Euro verschwanden mit einem Mausklick von seinem Wettkonto.

50 Jahre Bundesliga
Immer Höher
    Für eine Woche lässt ihn Doris allein. Sie fliegt mit ihrer Schwester in den Urlaub nach Mallorca. Um die Katastrophen zu Hause im Rahmen zu halten, schreibt sie ihm vor ihrer Abreise eine lange Liste mit den alltäglichen Erledigungen. Dem Hund frisches Wasser geben, den Rasen sprengen, das schnurlose Telefon nachts aufladen, Salat für die Schildkröten kaufen, jetzt, wo die Parks gemäht sind und kaum Löwenzahn zu finden ist. Selbst viel Wasser trinken!
    Heinz Höher arbeitet die Liste gewissenhaft ab, es ist Sommer in der Stadt, 2012, er trägt, weil seine Frau nicht da ist, durchweg kurze Hosen, dazu gerne sein kurzärmliges weißes Hemd, es verleiht ihm, auch mit 74, noch Eleganz. Um etwas zu tun zu haben, geht er sogar zweimal am Tag in den Edeka und kauft Kopfsalat für die Schildkröten. Aber das kann es doch auch nicht sein, die Tage mit Salatkaufen zu verbringen. Er hat eine Idee.
    Er kauft vormittags einen Kopfsalat im Edeka und bezahlt mit einem Hundert-Euro-Schein. Am Nachmittag kehrt er zurück, rechtzeitig, um vor dem Schichtwechsel noch bei derselben Kassiererin bezahlen zu können, kauft einen Kopfsalat und bezahlt mit einem Hundert-Euro-Schein. Am nächsten Tag erhöht er die Frequenz, erscheint viermal im Edeka und bezahlt jedes Mal einen Kopfsalat mit einem Hundert-Euro-Schein, so viel Salat können die Schildkröten gar nicht essen. Zwischenzeitlich geht er zur Bank, um das Wechselgeld wieder in Hundert-Euro-Scheine umzutauschen. Er will einfach mal sehen, wie die Kassiererin reagiert, wann sie explodiert. Als er das achte Mal einen Kopfsalat mit einem Hundert-Euro-Schein kauft, sagt die Kassiererin: »Haben Sie zu Hause eine Geldpresse? Dann komme ich nämlich mal vorbei.« Schon mal nicht schlecht, die Reaktion, denkt sich Heinz Höher, aber mal schauen, wann sie die Geduld verliert. Beim neunten Mal sagt die Kassiererin mit seufzender Stimme: »Ein Kopfsalat und hundert Euro.« Da hört Heinz Höher auf. Irgendwie hatte er sich eine außergewöhnlichere Reaktion erhofft.
    Es mag, für einen 74-Jährigen, nicht der übliche Zeitvertreib sein, aber für ihn ist es eine Leistung: dass ihm solche harmlosen Spielchen genügen. Er hat, seit der Neurologe im Oktober 2010 bei ihm Polyneuropathie diagnostizierte, keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Er hat sich bei den Wettanbietern im Internet selbst sperren lassen.
    Heinz Höher hat das Leben stets als Spiel begriffen, und die Bundesliga hat ihm das Gefühl verschafft, dass die Welt tatsächlich ein Spielfeld ist. Vor 50 Jahren, am 24. August 1963, betrat er die Liga an ihrem ersten Spieltag. Heute ist von den anderen Pionieren niemand mehr dabei, selbst Otto Rehhagel trat im Sommer 2012 ab, zum Ende als Trainer von Hertha BSC noch einmal abgestiegen. Heinz Höher ist durch Juri Judt auch im 50. Jahr am Ball. Nachdem der Wechsel zum FC Ingolstadt scheiterte, spielt Juri nun für Rasenballsport Leipzig, einen Verein, der von der Firma Red Bull aus dem Nichts aus dem Boden gestampft wurde, um in vier, fünf Jahren die Bundesliga zu erreichen. Dafür gingen Erstligaprofis wie Juri oder Sportdirektor Ralf Rangnick hinunter in die vierte Liga, wo Rasenballsport Leipzig anfangen muss.
    Von der Bundesliga anno 1963, als ein paar Jungs aus dem Vorort Meiderich Zweiter werden konnten, ist es eine Zeitreise zur Bundesliga 2013, in die Unternehmen wie Red Bull aus Marketinggründen, strategisch geplant streben. Wer die Eckdaten betrachtet, glaubt einen geradlinigen Aufstieg einer Liga zu erkennen, in der alles immer schneller, höher, weiter ging. Doch die Reise mit Heinz Höher durch 50 Jahre Bundesliga hat gezeigt, dass es diese Kontinuität, diesen zwangsläufigen Aufstieg der Bundesliga nicht gab. Der Profifußball in Deutschland
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