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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Rohrstapeln, prüften, ob die Türen der Bauwagen abgeschlossen waren, und lugten in die Fenster hinein, kletterten in die Zementbrunnen oder versuchten, die Kabeltrommeln zu rollen, füllten unsere Taschen mit abgeknipsten Leitungen, Plastikhebeln, Draht. In unserer Welt stand niemand höher im Kurs als diese Arbeiter, keine Arbeit erschien uns sinnvoller als ihre. Die technischen Details, aus denen sie bestand, interessierten mich ebenso wenig wie die Marke der Baumaschinen. Abgesehen von der Veränderung der Landschaft, die ihr Werk war, fanden wir die Spuren ihres Privatlebens am bemerkenswertesten an ihnen. So etwa, wenn sie aus dem orangen Arbeitsoverall oder der blauen, locker sitzenden, fast formlosen Hose einen Kamm zogen und sich kämmten, den Helm unter den Arm geklemmt, inmitten aller Baumaschinen und deren grollender, hämmernder Aktivitäten, oder dieser mystische, fast unverständlich bleibende Augenblick, wenn sie nachmittags in ganz normalen Kleidern aus dem Bauwagen herauskamen, sich in ihre Autos setzten und wie ganz normale Männer davonfuhren.
    Es gab auch andere Arbeiter, die wir aufmerksam und unermüdlich beobachteten. Tauchte jemand von der Telefongesellschaft in unserer Gegend auf, verbreitete sich die Neuig keit unter uns Kindern wie ein Lauffeuer. Dort stand der Wagen, dort stand der Arbeiter, ein Fernmeldetechniker, und dort lagen seine FANTASTISCHEN Steigeisen! Mit ihnen an den Füßen und einem Werkzeuggürtel um die Taille geschnallt, hakte er ein Geschirr fest, das um ihn und den Mast verlief, und begann mit langsamen und wohlüberlegten, für uns jedoch VOLLKOMMEN unverständlichen Bewegungen hinaufzuklettern. Wie war das nur MÖGLICH? Mit gera dem Rücken, ohne erkennbare Anstrengung, ohne sichtbaren Krafteinsatz GLITT er nach oben. Mit großen Augen starrten wir ihn an, während er da oben arbeitete, jetzt wegzugehen kam nicht in Frage, denn bald würde er, ebenso spielerisch und unangestrengt und unbegreiflich, wieder herunterklet tern. Man stelle sich nur vor, solche Schuhe mit Steigeisen zu besitzen, mit dieser schnabelartigen Metallstange, die den Mast umschloss, was würde man dann nicht alles tun können?
    Dann gab es auch noch die Leute, die in der Kanalisation arbeiteten und ihre Autos neben einem der vielen Kanalschächte in der Straße parkten, die entweder im Asphalt versenkt waren oder irgendwo neben der Fahrbahn in kleinen Erhebungen aufgemauert lagen, und die, nachdem sie Stiefel angezogen hatten, die ihnen bis zur TAILLE! reichten, mit einem Stemmeisen den runden, ungeheuer schweren Metalldeckel anhoben, ihn ablegten und anschließend hinunterstiegen. Wie das erste Bein in dem Loch unter der Straße verschwand, danach die Oberschenkel, dann der Bauch, dann die Brust, schließlich der Kopf … Und was war da unten, wenn nicht ein Tunnel? Durch den Wasser lief? Durch den man gehen konnte? Oh, mein Gott, das war ja fantastisch. Vielleicht befand sich der Mann jetzt bereits irgendwo dahinten, neben Kent Arnes Fahrrad, das ungefähr zwanzig Meter entfernt auf dem Bürgersteig lag, aber unter der Erde! Oder war es etwa so, dass diese Schächte nur eine Art Stationen waren, also Brunnen, an denen man die Rohre kontrollieren und im Falle eines Feuers Wasser holen konnte? Das wusste keiner von uns, denn wenn sie hinabstiegen, wurde uns stets befohlen, uns fernzuhalten. Sie zu fragen, traute sich keiner von uns, und niemand war stark genug, um die schweren, Münzen nicht unähnlichen Metalldeckel eigenhändig abzuheben. Also blieb die Sache wie so vieles damals ein Mysterium.
    Selbst als wir noch nicht in die Schule gingen, konnten wir uns bis auf zwei Ausnahmen überall frei bewegen. Die eine Ausnahme war die große Straße, die von der Brücke zur Fina-Tankstelle hinabführte, die andere war das Meer. Du darfst nie alleine zum Meer hinuntergehen!, schärften uns die Erwachsenen ein. Aber warum eigentlich nicht? Dachten sie etwa, wir würden ins Wasser fallen? Nein, darum gehe es nicht, erläuterte einer von uns, als wir auf dem Berg direkt hinter der kleinen Wiese saßen, auf der wir ab und zu Fußball spielten, und auf das Wasser ungefähr dreißig Meter unter uns hinabblickten, zu dem der Felsenhang steil abfiel. Es liege am Nöck, dem Wassergeist. Er raube Kinder.
    »Wer sagt das?«
    »Mama und Papa.«
    »Er ist hier ?«
    »Ja.«
    Wir blickten auf die gräuliche Wasseroberfläche der langen und schmalen Bucht Ubekilen hinab. Es erschien uns unwahrscheinlich, dass sich
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