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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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durch die Lebensjahre geworfen. Und dann gibt es die Erinnerungen, die mit der Landschaft verknüpft sind, denn die Landschaft der Kindheit ist nicht wie die Landschaften, die später folgen, sondern in ganz anderer Weise mit Bedeutung aufgeladen. In dieser Landschaft hatte jeder Stein, jeder Baum eine Bedeutung, und weil alles zum ersten Mal gesehen wurde, aber auch, weil es so oft gesehen wurde, hat es sich in den Tiefen des Bewusstseins abgelagert, nicht nur vage und ungefähr, wie die Landschaft vor dem Haus des Erwachsenen erscheint, wenn er die Augen schließt und sie heraufzubeschwören versucht, sondern fast schon grotesk präzise und detailliert. Ich muss in meinen Gedanken lediglich die Tür öffnen und hinausgehen, und schon strömen die Bilder auf mich ein. Der Kies in der Einfahrt, im Sommer fast bläulich gefärbt. Allein schon die Einfahrten der Kindheit! Und die Modelle der siebziger Jahre, die in ihnen standen! Käfer, Enten, Taunus, Granada, Ascona, Kadett, Consul, Lada, Volvo Amazon … Aber nun gut, über den Kies, am braun gebeizten Zaun vorbei, über den flachen Graben, der zwischen unserer Straße, Nordåsen Ringvej, und dem Elgstien lag, der Straße, die durch die ganze Gegend verlief und außer an unserem an zwei weiteren Neubaugebieten vorbeiführte. Die Böschung aus dunkler, fetter Erde vom Straßenrand bis in den Wald hinunter! Wie kleine, dünne und grüne Stängel praktisch sofort begonnen hatten, aus ihr hochzuschießen: zart und einsam in diesem neuen und großen Schwarzen, und dann die fast brutale Vervielfältigung im Laufe des folgenden Jahres, bis die Böschung schließlich vollständig von einem dichten, wuchernden Gestrüpp bedeckt war. Kleine Bäume, Gras, Roter Fingerhut, Löwenzahn, Farne und Sträucher, die den früher so deutlichen Unterschied zwischen Straße und Wald vollkommen verwischten. Den Anstieg hinauf, auf dem Bürgersteig mit seinen schmalen Bordsteinen aus Beton, und, oh, das Wasser, das bei Regen neben diesem sickerte und floss und strömte! Der rechts abzweigende Pfad, eine Abkürzung zum neuen Supermarkt B-Max. Der kleine sumpfige Fleck daneben, nicht größer als eine Parkbucht auf einem Parkplatz, die Birken, die scheinbar durstig darüberhingen. Olsens Haus auf der Kuppe der kleinen Anhöhe und die Straße, die dahinter vorbeiführte, sie hieß Grevlingveien. Im ersten Haus auf der linken Seite wohnten John und seine Schwester Trude, es lag auf einem Grundstück, das mehr oder weniger eine Geröllhalde war. Ich hatte immer Angst, wenn ich an diesem Haus vorbeimusste. Zum einen lag John häufig auf der Lauer, um alle Kinder, die vorbeikamen, mit Steinen oder Schneebällen zu bewerfen, zum anderen, weil sie einen Schäferhund hatten … Dieser Schäferhund … Oh, jetzt fällt es mir wieder ein. Was war dieser Köter doch nur für eine verdammte Bestie. Er stand angebunden in der Einfahrt oder auf der Veranda, bellte jeden an, der vorbeiging, schlich auf dem Areal umher, das seine Laufleine ihm zugestand, und heulte und jaulte. Er war mager und hatte gelbe, kranke Augen. Einmal lief er die Leine hinter sich herschleifend und dicht gefolgt von Trude hügelabwärts auf mich zu. Ich hatte gehört, wenn man von einem Tier verfolgt werde, solle man nicht fortlaufen, beispielsweise vor einem Bären im Wald, es komme vielmehr darauf an, sich nicht zu rühren und sich nichts anmerken zu lassen, also tat ich das und blieb augenblicklich stehen, als der Hund auf mich zustürzte. Es nützte mir nichts. Den Hund interessierte es nicht, dass ich regungslos war, er öffnete sein Maul und schlug seine Zähne kurz oberhalb des Handgelenks in meinen Unterarm. Trude war in der nächsten Sekunde bei ihm, griff nach der Leine und zerrte so fest an ihr, dass der Schäferhund zurückgerissen wurde. Weinend eilte ich davon. Alles an diesem Tier machte mir Angst. Das Bellen, die gelben Augen, der Geifer, der aus seinem Maul troff, die runden, spitzen Zähne, deren Abdrücke ich nun auf meinem Arm hatte. Zu Hause erzählte ich niemandem davon, weil ich fürchtete, Ärger zu bekommen, da eine solche Begebenheit viele Möglichkeiten für Vorwürfe in sich barg: Ich hätte dort nicht ausgerechnet in diesem Moment sein sollen, oder ich hätte nicht weinen sollen, ein Hund, vor dem muss man sich ja wohl nicht fürchten? Von jenem Tag an packte mich jedes Mal die Angst, wenn ich die Töle sah, aber das war fatal, denn ich hatte nicht nur gehört, dass man still stehen solle, wenn ein
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