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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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in den Wald hinter seinem Haus rollten. Die Familien, die dort einzogen, kamen aus dem ganzen Land, und alle hatten Kinder. In dem Haus auf der anderen Straßenseite wohnten Gustavsens, er war Feuerwehrmann, sie war Hausfrau, sie stammten aus Honningsvåg, ihre Kinder hießen Rolf und Leif Tore. Im Haus oberhalb von unserem wohnten Prestbakmos, er war Gesamtschullehrer, sie war Krankenschwester, sie kamen aus Troms, ihre Kinder hießen Gro und Geir. Dahinter wohnten wiederum die Kanestrøms, er arbeitete bei der Post, sie war Hausfrau, beide stammten aus Kristiansund, ihre Kinder hießen Steinar, Ingrid Anne, Dag Lothar und Unni. Auf der anderen Straßenseite die Karlsens, er war Seemann, sie Verkäuferin, sie waren Südnorweger, ihre Kinder hießen Kent Arne und Anne Lene. Oberhalb von ihnen die Christensens, er Seemann, ihren Beruf kannte ich nicht, die Kinder hießen Marianne und Eva. Auf der anderen Seite wohnten Jacobsens, er war Drucker, sie Hausfrau, beide stammten aus Bergen, ihre Kinder hießen Geir, Trond und Wenche. Oberhalb von ihnen Lindlands, Südnorweger, ihre Kinder hießen Geir Håkon und Morten. Dort ungefähr verlor ich allmählich den Überblick, zumindest darüber, wie die Eltern hießen und was sie beruflich machten. Bente, Tone Elisabeth, Tone, Liv Berit, Steinar, Kåre, Rune, Jan Atle, Oddlaug, Halvor hießen die Kinder in diesem Teil der Siedlung. Die meisten waren in meinem Alter, die ältesten sieben Jahre älter als ich, die jüngsten vier Jahre jünger. Fünf von ihnen sollten später in meine Klasse gehen.
    Wir zogen im Sommer 1970 dorthin. Da waren die meisten Häuser der Siedlung noch gar nicht fertiggestellt. Die gellende Warnsirene, die vor einer Sprengung ertönte, war in meiner Kindheit ein vertrautes Geräusch, das ganz eigenartige Gefühl von Untergang, das man manchmal verspürte, wenn sich die Schockwellen der Sprengung durch den Untergrund verbreiteten und den Boden im Haus erzittern ließen, war eine ganz alltägliche Empfindung. Dass es überirdische Verbindungen gab, war natürlich – Straßen und Stromleitungen und Wälder und Meer –, aber dass es so etwas auch unter der Erde gab, erschien mir beunruhigender. Worauf wir standen, sollte das nicht absolut unverrückbar und undurchdringlich sein? Gleichzeitig übten alle Öffnungen in der Erde eine ganz eigene Anziehungskraft auf mich und die anderen Kinder aus, mit denen ich aufwuchs. Nicht selten versammelten wir uns um eines der zahlreichen Löcher, die in der Nachbarschaft ausgehoben wurden, sei es nun, dass Abwasserleitungen oder Stromkabel verlegt werden sollten oder man einen Keller gießen wollte, und starrten in die Tiefe, gelb, wo Sand war, schwarz, braun oder rotbraun, wo Erde war, grau, wo Lehm war, und mit einem Grund, der früher oder später stets von einer graugelben und undurchdringlichen Wasserschicht bedeckt war, die gelegentlich von der Spitze eines oder zweier Felsblöcke durchbrochen wurde. Über der Grube brütete, einem Vogel nicht unähnlich, ein gelb- oder orangeglänzender Bagger mit einer Schaufel wie ein Schnabel am vorderen Ende seines langen Halses, neben ihm parkte ein Lastwagen, dessen Scheinwerfer an Augen erinnerten, der Kühlergrill glich einem Mund und die mit einer Plane überspannte Ladefläche einem Rücken. Wenn es um größere Bauvorhaben ging, standen dort auch Bulldozer oder Kipplaster, die meistens gelb waren und riesige Reifen hatten, deren Profilrillen so tief waren wie unsere Hände. Wenn wir Glück hatten, fanden wir in oder in der Nähe der Baugrube Bündel von Zündschnur und nahmen sie an uns, denn Zündschnüre besaßen einen hohen Gebrauchs- und Tauschwert. Ansonsten gab es immer Trommeln in der Nähe, mannshohe, garnrollenartige Holzkonstruktionen, von denen Kabel abgerollt wurden, sowie Stapel glatter, braunroter Plastikrohre, deren Durchmesser etwa der Dicke unserer Unterarme entsprach. Des Weiteren stapelweise Zementrohre und vorgegossene Zementbrunnen, ganz rau und schön, etwas höher als wir, perfekt zum Klettern geeignet; lange, unverrückbare Matten aus alten, aufgeschnittenen Autoreifen, die man bei den Sprengungen benutzte; Stapel hölzerner Telefonmasten, die das Imprägniermittel grün gefärbt hatte; Kästen mit Dynamit, Bauwagen, in denen sich die Arbeiter umzogen und aßen. Wenn sie da waren, blieben wir respektvoll auf Distanz und beobachteten ihr Tun. Waren sie nicht da, kletterten wir in die Grube, auf die Räder der Kipplaster, balancierten auf den
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