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Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)

Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)

Titel: Spiel, bis du stirbst (Samantha Veselkova Krimi) (German Edition)
Autoren: Sönke Brandschwert
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dass ihr sein Verhalten missfiel.

4 | Mutter
     
    Es lag wie ein Heiligtum vor ihr.
    Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten hatte sie sich einen Wodka eingeschenkt. Sie trank sehr selten Alkohol, und auch jetzt ließ sie das Glas unangerührt stehen. Ihr Blick fixierte das kleine Büchlein, das vor ihr lag: das Tagebuch ihrer leiblichen Mutter. Am Vormittag hatte sie es von dem Notar überreicht bekommen. Ihre Adoptiveltern hatten es dort hinterlegt, mit der Verfügung, dass es Sam zum fünfundzwanzigsten Geburtstag überreicht werden sollte.
    Beim Aufspüren der jungen Frau hatte es in der Kanzlei allerdings einige Konfusion gegeben, denn man ist davon ausgegangen, dass sie den Nachnamen ihrer verstorbenen Adoptiveltern tragen würde. Sam hatte jedoch später den Namen ihrer leiblichen Mutter angenommen. Da dies erst geschehen war, nachdem sie die Volljährigkeit erreicht hatte, war es nicht über das Jugendamt in Erfahrung zu bringen gewesen. So hatte es eine Weile gedauert, bis sie gefunden werden konnte.
    Und nun lag es vor ihr. Sam traute sich kaum, es zu öffnen. Enthielt es die letzten Monate im Leben ihrer leiblichen Mutter? Vielleicht würde Sam etwas über ihre Abstammung erfahren, denn außer dem Namen ihrer Mutter wusste sie so gut wie nichts darüber.
    Es vergingen viele Minuten, in denen Sam einfach nur da saß und das Büchlein anblickte. Dabei hatte sie ständig den Geruch des Wodkas in der Nase, der ihr irgendwie störend und falsch vorkam. Ohne etwas zu denken wartete sie; nicht auf ein bestimmtes Ereignis, sondern einfach nur darauf, dass sie bereit war. Irgendwann griff sie nach dem billigen, pinkfarbenen Einband, auf dem in babyblauen Buchstaben „My Diary“ stand, hielt inne, und wartete weitere langsam verrinnende Sekunden, bis sie das Büchlein vorsichtig und beinahe andächtig öffnete. Jeden Tag nur einen Eintrag, hatte sie sich vorgenommen. An diesem Tag war der erste dran.
    Die Schrift war die ordentliche, leicht schräggestellte Schrift eines Mädchens. Auf den ersten Blick erkannte Sam mit großem Erstaunen, dass ihre Mutter bei jedem ‚U‘ neu ansetzte, als beginne ein anderes Wort. Sam hatte die gleiche Angewohnheit und schrieb ebenfalls mit leicht schräggestellten Buchstaben.
    Zwei Flecken, in denen die Tinte leicht verwaschen war, erinnerten Sam an getrocknete Tränen. Es würde traurig werden, was sie nun zu Lesen bekam.
     
    4. Juni 1981
    Mein Tagebuch … ich dachte immer, es ist kindisch ein Tagebuch zu führen … doch jetzt hoffe ich, meine Gedanken besser ordnen zu können, wenn ich sie niederschreibe.
    Vorgestern hat der Arzt festgestellt, dass ich schwanger bin. Schwanger! Meine Güte, was soll ich nur tun? Wenn ich Frank erzähle, dass er Vater wird… er wird mir nicht glauben, dass ich tatsächlich die Pille genommen habe. Wenn ich er wäre, würde ich mir unterstellen, dass ich ihn absichtlich angelogen habe. Wie viele Frauen tun so etwas, um einen Mann an sich zu binden? Zumindest ist das doch die Meinung der Männer. Nein, er wird mir nicht glauben, er kennt mich ja kaum…
    Was soll ich nur tun?
    Wird er mir unterstellen, dass ich sein Leben zerstören will? Mit seiner Karriere als Atomphysiker steht ihm doch die ganze Welt offen. Würde er sich alleine durch das Baby an mich gebunden fühlen? Das ist das Allerletzte, was ich will. Vielleicht sollte ich einfach aus seinem Leben verschwinden, ebenso schnell, wie ich aufgetaucht bin. Meinen Nachnamen kennt er sowieso nicht, ebenso wenig die Telefonnummer von der WG. Er verlässt sich darauf, dass ich mich bei ihm melde, sobald er von seinem Projekt in Amerika zurück ist.
    Vielleicht denkt er ja schon gar nicht mehr an mich?
    Auf der anderen Seite: Hätte er mir dann seine Adresse in Köln mitsamt seiner Telefonnummer und sogar die Durchwahl in seinem Büro gegeben?
    Was mache ich nun? Ich bräuchte mich einfach nicht bei ihm zu melden…
    Doch was ist mit dem Kind? Soll es ohne Vater aufwachsen? Aber was wäre ein Vater, der die Entscheidung zum Vatersein nicht selbst getroffen hat; dem es einfach aufgedrängt wurde, ohne dass er es wollte?
    Was ist richtig, was ist falsch?
    Meine Güte … ich bin völlig verwirrt … kann nicht mehr klar denken …
    Was soll aus meinem Studium werden? Ich habe so hart dafür gearbeitet, um so schnell wie möglich die Sprache zu lernen … habe mein Abi in Deutschland bestanden … alles habe ich dafür getan, und ich habe es geschafft – und nun das!
    Ich dachte immer, so etwas
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