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Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013

Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013

Titel: Spiegel E-Book - Nelson Mandela 1918-2013
Autoren: Jan Puhl (Vorwort)
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24/1990

„Weiße haben nichts zu fürchten“
    SPIEGEL: Dr. Mandela, nach 27 Jahren Gefängnis haben Sie die ersten hundert Tage in Freiheit verbracht. Erleben Sie jetzt ein neues Land, oder ist es das alte geblieben?
    Mandela: Natürlich gibt es neue Städte, neue Schnellstraßen. Neu sind auch die sogenannten Grauzonen, in denen verschiedene Rassen zusammenleben können. Es gibt in einigen Bereichen sogar weniger Rassendiskriminierung, und man braucht nicht mehr jederzeit um sein Leben fürchten. So gesehen hat ein Wandel stattgefunden. Nur beim Wesentlichen, beim Recht auf Selbstbestimmung für jeden, hat es keinen Wandel gegeben, nicht einmal die Anzeichen eines Wandels.
    SPIEGEL: Wenn Sie die glitzernden Wolkenkratzer, die teuren Importwagen, den ganzen Reichtum sehen, den das weiße Südafrika genießt, empfinden Sie dann Bitterkeit?
    Mandela: Wir würden alle gern leben wie die Oppenheimers. Wir möchten unsere Familien in geräumigen Häusern unterbringen, gern besser essen, Ferienreisen machen und Geld zurücklegen für die Erziehung unserer Kinder. Doch davon sind wir Schwarzen noch weit entfernt.
    SPIEGEL: Kann man 27 Jahre Gefängnis wohl vergessen?
    Mandela: Ich will sie gar nicht vergessen. Wir waren in einem Gefängnis, das zwar von Weißen geleitet wurde, aber alle politischen Gefangenen waren schwarz. Einige meiner Mithäftlinge wurden zu Tode geprügelt oder blieben als Krüppel zurück. Aber es gab nicht nur brutale physische Angriffe. Es gab auch psychischen Terror. Allerdings, ich schaffe es heute nicht einmal mehr, über die Vergangenheit nachzudenken. Meine Organisation, der Afrikanische Nationalkongreß ANC, hat mir ein riesiges Aufgabengebiet übertragen.
    SPIEGEL: Gibt es niemanden, den Sie für die verlorenen Jahre verantwortlich machen?
    Mandela: Wenn wir die Verhandlungen mit der Regierung endlich aufnehmen, wollen wir allen Südafrikanern sagen: Aus und vorbei - laßt uns die Vergangenheit vergessen und uns darauf konzentrieren, was wir heute und in Zukunft aufbauen können.
    SPIEGEL: Heißt das Amnestie für jeden, auch für Folterer und Mörder?
    Mandela: Genau. Allerdings müssen wir die Öffentlichkeit sorgfältig darauf vorbereiten. Das Verlangen nach Rache ist sehr natürlich. Die Taten beispielsweise eines Mannes, der sieben Schwarze getötet hat, sind nur schwer zu vergessen. Aber wenn wir sagen: „Aus und vorbei“, dann muß das ohne jeden Unterschied gelten.
    SPIEGEL: Das neue Südafrika, wenn es denn herbeiverhandelt werden kann, soll also mit beinahe leeren Gefängnissen beginnen?
    Mandela: Kein Verbrechen aus der Vergangenheit darf mehr eine Rolle spielen. Wenn wir das nicht schaffen, können wir nicht mit der Regierung reden. Viele Verbrechen geschahen auf ihre Veranlassung und nicht, weil der einzelne sie begehen wollte. Wenn wir aber die Grausamkeiten der Regierung vergessen können, warum sollten wir nicht die gleiche Haltung gegenüber einfachen Leuten einnehmen, die aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft kaum wußten, was sie taten.
    SPIEGEL: Viele Grausamkeiten wurden von den Sicherheitskräften verübt, die nun Sie beschützen. Fällt es Ihnen schwer, in denen nicht den Feind zu sehen?
    Mandela: Die Situation in Südafrika ist vergleichbar mit Revolutionen in anderen Teilen der Erde. In diesem Stadium der Revolution läßt es sich nicht vermeiden, mit den gleichen Sicherheitskräften zu arbeiten, die uns früher unterdrückt haben.
    SPIEGEL: Wenn die noch inhaftierten politischen Gefangenen freigelassen werden und alle ANC-Mitglieder aus dem Exil zurückkehren können, sind Ihre Vorbedingungen für Verhandlungen mit der Regierung erfüllt. Wann wird es soweit sein?
    Mandela: Es gibt noch andere gleichgewichtige Faktoren, die eine Verhandlungsatmosphäre stören könnten. So macht uns die zunehmende Gewalt der radikalen Rechten besorgt. Ihre Mitglieder bedrohen den ANC und haben erkennen lassen, daß sie einen Krieg gegen uns vorbereiten.
    SPIEGEL: Haben Sie viele Todesdrohungen erhalten?
    Mandela: Persönlich nicht. Immerhin hat der Führer der Afrikaner Weerstandsbeweging AWB seine Leute aufgerufen: „Hängt Mandela!“ Für den Fall, daß der ANC an die Macht kommt, will er der neuen Regierung den Krieg erklären.
    SPIEGEL: Wie ernst nehmen Sie diese Drohung?
    Mandela: Es spielt keine Rolle, daß die AWB keine Massenbewegung ist. Die Buren kämpfen am härtesten, wenn sie weit unterlegen sind. Aber es bleibt ja nicht bei bloßen Drohungen. Unsere
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