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Sphaerenmusik

Sphaerenmusik

Titel: Sphaerenmusik
Autoren: Margarete Friedrich
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„Wir müssen verraten worden sein“, flüsterte ich. Ein Stöhnen war die Antwort. Erstaunt blickte ich Anne an. Das Mädel stand an der Mauer gelehnt, die Äugen weit aufgerissen. Ich stieß mühsam hervor. „Was ist?“ Anne weinte auf. „Bob“, sagte sie kaum hörbar. „Ich liebe ihn und wollte ihn nicht ohne ein Abschiedswort verlassen. Ich bat ihn, sobald wir irgendwo Fuß gefasst haben, nachzukommen, und er versprach es mir. „Wie konntest du nur“, erwiderte ich, „Bob, der treueste und listigste Knecht meines Vaters, der für ein Trinkgeld selbst seine Großmutter verkaufen würde!“ Anne fiel mir vor die Füße und stammelte: „Verzeiht mir, Mylady!“ „Was soll ich dir verzeihen“, antwortete ich. „Ich wollte aus Liebe mit meinem Freund fliehen, und du wolltest nicht ohne ein Wort von deinem fort. Du hättest doch hier bleiben können!“ „Das hätte mir nichts genützt. Dass ich Ihnen bei der Flucht half, hätte seine Lordschaft mir nie verziehen und ich wäre erledigt gewesen.“ „Das bist du jetzt sowieso“, erwiderte ich hart, „und ich mit dir!“
    Die Verzweiflung packte mich, und ich schlug wild gegen die Mauer, aber es half nichts, sie trennte uns von der Freiheit und meinem Geliebten, und ich wusste, für immer! Dann hörten wir von weither eine Stimme, die von den Tunnelwänden widerhallte: „Da unten scheinen zwei Täubchen gefangen zu sein! Flattert herauf, damit ich euch die Flügel für immer stutzen kann!“ In seiner Angst verkroch sich Puck in der Felsspalte hinter der Tür. Ich schob ihm die Jagdtasche zu: „Bewahr sie auf, vielleicht gelingt mir ein anderes Mal die Flucht!“ Anne und ich liefen zurück, und unsere Herzen waren voller Angst.
    Harleigh, den 5.8.1858. Mein Vater war hier, um mir zu sagen, dass ich so lange den Turm nicht verlassen darf, bis ich seinen Freund geheiratet hätte. „Und wenn er mich mit Gewalt vor den Traualtar schleppen würde“, entgegnete ich, „bekäme der Priester mein Nein zu hören.“ Da schlug er mich.
    Harleigh, den 10.8.1858. In der vergangenen Nacht habe ich ihn endlich wiedergesehen, .ihn, den ich schön für tot hielt! Der Mond schien hell. Ich konnte wieder einmal nicht schlafen und schaute zum Seitenfenster hinaus. Ich sah zur Ma uer hinüber und zuckte zusammen. Da stand Pierre mit der Geige in der Hand. Jetzt hob er sie ans Kinn und spielte trotz der schmalen Mauerkante, auf der er stand. Er trug einen dunklen Umhang und einen großen Hut, und doch erkannte ich ihn sofort. Ich öffnete das Fenster, er hob seinen Kopf und der Mond beschien voll sein ach so geliebtes Gesicht. Ich winkte ihm traurig zu.
    Plötzlich wurde ich vom Fenster brutal zurüc kgerissen. Vor Schreck schrie ich laut auf. Dann stand mein Vater mit wutverzerrtem Gesicht am Fenster und schoss mit einer Pistole auf Pierre. Ich sah noch, dass die Mauer plötzlich leer war, dann wurde ich ohnmächtig.
    HarIeigh, den 13.8.1858. Jetzt bin ich lebendig begraben. Ich musste meine nötigsten Sachen z usammenpacken, und Vater brachte mich in dieses Höhlengefängnis, von dem ich bisher nichts wusste. Die Luft ist kaum zum Atmen, und nur wenig Licht fällt durch eine kleine Spalte oben an der Decke. Manchmal denke ich schon daran, nachzugeben, aber dann sehe ich diesen Mann vor mir, den ich heiraten soll, und mich schaudert's. Nein, lieber sterben! Warum soll ich weiterleben, wenn mein geliebter Pierre tot ist, wie mein Vater behauptet. Er kommt jeden Tag einmal zu mir und bringt mir mein Essen. Wenn ich nur nicht solche Angst vor der Dunkelheit und diesem unheimlichen Verlies hätte! Wie viele Menschen mögen hier schon umgekommen sein?
    Harleigh, den 17.8.1858. Ich bin so unb eschreiblich müde und hoffnungslos. Oft denke ich an den Schmuck. Er scheint ihn noch nicht vermisst zu haben, sonst hätte er mich schon danach gefragt. Puck wird längst damit in Sicherheit sein. Er konnte bestimmt, nachdem sich alles im Schloss beruhigt hatte, ungesehen durch die Kapelle entkommen, zumal man nicht wusste, dass er an dem Fluchtversuch beteiligt war. Und das wird meine Rache sein, dass der Schmuck für meinen unmenschlichen Vater verloren ist!
    Harleigh, den 22.8.1858. Lohnt es sich noch, dies Tagebuch weiterzuführen? Die Tage vergehen so qualvoll langsam, doch am schlimmsten sind die Nächte! Dazu quält mich der Hunger, denn seit zwei Tagen hat sich mein Vater nicht mehr sehen lassen. Will er mich jetzt durch Hunger nachgiebig machen?
    Harleigh, den... Ich weiß
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