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Sphaerenmusik

Sphaerenmusik

Titel: Sphaerenmusik
Autoren: Margarete Friedrich
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wohl die ganze Nacht vor Angst nicht einschlafen können? Nein, ich gehe jetzt zu Bett und nehme ein paar Schlaftabletten.“ Als sie das betrübte Gesicht ihrer Nichte sah, setzte sie hinzu: „Ich habe ja nicht gesagt, dass ich es nicht übersetzen will, aber erst muss ich über den Schrecken hinweggekommen sein. Wenn Daphne mit allen Ehren in der Familiengruft ruht, haben wir noch Zeit genug, ihr Tagebuch zu lesen. Gute Nacht, meine Lieben!“
    Das Mondlicht schien in Silvias Zimmer, Ge igentöne klangen jubelnd durch das offene Fenster, umhüllten ihr Denken, erfüllten sie mit Sehnsucht nach ihrem Peter. Wie im Traum - vielleicht war es sogar ein Traum, sie wusste es am nächsten Morgen nicht mehr - ging sie zum Fenster.
    Sie erblickte unten auf dem Schlossplatz eine Gestalt, ein Umhang bauschte sich um sie, ein gr oßer Schlapphut bedeckte den Kopf. Silvia konnte alles gut erkennen und doch wirkte die Erscheinung irgendwie verschwommen.
    Der Mann ließ seine Geige sinken und sah e rwartungsvoll zum Schloss hinauf. Daphne schwebte in einem weißen Kleid auf ihn zu, ihr rötliches Haar schimmerte. Sie sank in seine ausgebreiteten Arme.
    Weiße Schwaden stiegen vom Boden auf, bre iteten sich aus und die beiden eng umschlungenen Gestalten verschwanden im Nebel, der langsam nach oben stieg, bis er verflog.
    Der Schlossplatz lag wieder leer vor Silvia, und die Büsche wiegten sich sanft im Nach twind.
    Sie sind endlich erlöst, dachte Silvia glüc klich.
     
    * * *
     
     
    Zwei Tage waren vergangen. Joan war mit ihrem Sohn Sandro nach Amerika abgereist. John hatte ihr einen Brief an seinen Sohn mitgegeben. Die polizeilichen Untersuchungen waren abgeschlossen und das, was von Daphne noch übrig war, feierlich in der Familiengruft der Harleighs bestattet wo rden.
    Nach dem abendlichen Dinner hatten sich Elis abeth, John, Silvia und Pamela in den Salon begeben. Der Butler servierte ihnen den Kaffee und zog sich danach zurück.
    Elisabeth hatte Daphnes Tagebuch mitgebracht. Sie blätterte darin herum und sagte: „Die Schrif tzüge, vor allem die letzten, sind oft unleserlich und verwischt. Ich habe das Wesentliche übersetzt, damit du, Silvi, es besser verstehst.
    Sie drückte dem Mädchen verschiedene mit Schreibmaschine beschriebene Seiten in die Hand.
    Eine Weile hielt Silvia die Blätter unschlüssig in der Hand. Sie hatte plötzlich Scheu, das Tagebuch eines fremden Mädchens zu lesen, obwohl es längst gestorben war. Da fühlte sie sich angestoßen, und Pamela bat ungeduldig: „So lies doch endlich!“
    Sie rückte dicht an ihre Kusine heran, und beide Mädchenköpfe beugten sich über die Blätter:
    Edinburgh, den 1.9.1857. Heute  ist Vater angekommen. Ich sollte mich darüber freuen, sagte Tante Anabel, als sie bemerkte, dass ich am liebsten in meinem Zimmer geblieben wäre. Seit ich denken kann, habe ich immer Angst vor Vater gehabt. Tante Anabel meint, dass er mich sicherlich bald nach Hause holen wird. Das wäre schrecklich. Schon allein der Gedanke daran lässt mich erzittern!
    Edinburgh, den 2.9.1857. Beim Lunch erklärte uns Vater, warum er gekommen sei. Ein Maler soll mich porträtieren, da mein Verlobter das verlangt habe. Ich war vor Entsetzen wie gelähmt, hatte ich doch bisher nichts von meiner Verlobung gewusst. Auch Tante Anabel war sehr bestürzt darüber und fragte Vater, warum er sie nicht früher davon u nterrichtet habe, da sie sich nach meiner Geburt nach besten Kräften bemüht habe, mir die Mutter zu ersetzen. Auch Onkel Lionel mischte sich ein und gab zu bedenken, dass ich schließlich erst fünfzehn Jahre alt sei. Vater lachte und sagte, dass meine Mutter auch sehr jung gewesen sei, als er sie heiratete. Verzweifelt lief ich in mein Zimmer und presste mein tränenüberströmtes Gesicht an das kühle Fenster. Ich konnte an nichts mehr denken, als an die Trennung von Pierre Lenne, den ich liebe .
     
    Edinburgh, den 20.11.1857. Mein Bild ist fertig. Voller Stolz zeigte mir der Maestro sein Werk. Das sollte ich sein? So schön bin ich doch gar nicht! Aber das Gesicht auf dem Bild weist einen schwermütigen Ausdruck auf. Der Maler hat demnach meine Traurigkeit bemerkt, und so bleibt mir nur die Hoffnung, dass ich meinem Bräutigam zu trübsinnig erscheine, und er auf mich verzichtet.
     
    Edinburgh, den 25.3.1858. Meine letzte Hoffnung ist dahin. Heute kam Vater, um mich abzuholen. Mein Verlobter wäre begeistert von meinem Bild, und die Hochzeit sei an meinem sechzehnten Geburtstag
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