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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum
Autoren: Sergej Lukianenko
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verebbt. Stille senkte sich herab. Einige Jugendliche, übers Wochenende in der Stadt geblieben, sausten mit ihren Rollern über die Gehsteige, im Park an der Metro baute gerade eine kleine Jazzband ihre Instrumente auf, während die ersten Rentner bereits auf den Bänken Platz nahmen, um der Musik zu lauschen, einen kleinen Schwatz zu halten und zu tanzen. Das alte achtstöckige Haus, in dem Martins Onkel wohnte, lag in der Nähe, weshalb Martin nicht den Fußweg zu nehmen brauchte, sondern quer durch den alten verwilderten Garten schlendern konnte. Beinahe hätte er dabei ein verliebtes Pärchen aufgeschreckt, das sich auf einer Bank umarmte. Zum Glück hörte er das heiße Flüstern jedoch noch rechtzeitig, um sodann mucksmäuschenstill an ihnen vorbeizuschleichen, die Tüte mit den Flaschen an sich gepresst, damit sie nicht schepperten.
    Punktgenau zur vereinbarten Zeit traf Martin ein. Sein Onkel öffnete ihm die Tür mit wenigen brummigen Lauten, die als Begrüßung herhalten mussten, und stürzte wieder in die Küche, um die Ente aus dem Ofen zu nehmen. In treuer Gewohnheit schlüpfte Martin in die Gästepantoffeln in Einheitsgröße und ging ins Wohnzimmer. Sein Onkel lebte in aller Bescheidenheit in einer winzigen Zweizimmerwohnung, trug sich jedoch nicht mit Umzugsplänen, was er damit begründete, dass es mit seinen siebenundsechzig Jahren noch zu früh sei, um an den Friedhof zu denken, aber schon zu spät, um ein neues Heim zu suchen. Im Schlafzimmer, das auch als Arbeitszimmer diente, reihten sich entlang der Wände uralte Bücherregale, in denen sich nicht minder alte Bücher fanden, wohingegen das Wohnzimmer modern daherkam, stellenweise sogar mit einem modischen High-Tech-Stil aufwartete, mit zahlreichen Regalen aus vernickelten Röhren und Panzerglas, einer raffinierten Apparatur, die Bilder und Töne produzierte, sowie den effektheischenden französischen Waterfall-Standlautsprechern aus Glas, die Experten wegen des Fehlens von Nebengeräuschen im Gehäuse schätzten. Während Martin auf seinen Onkel wartete, stöberte er in den CDs, wählte Beethoven in der Interpretation von Emil Gilels, legte das Jackett ab und machte es sich am Tisch bequem.
    Sein Onkel ließ nicht lange auf sich warten. Schon in der nächsten Minute erschien er mit einer prächtigen, auf einem metallenen Tablett thronenden Ente im Wohnzimmer, die zischelte, köstlich duftete und sich gegen Krautwickel im Miniaturformat schmiegte, die sich ihrerseits ein Bad im Entenfett gönnten. Beim Anblick der Ente raffte Martin sich auf, öffnete die Flasche, schalt sich dafür, nicht eher gekommen zu sein, empfahl es sich doch, Wein eine halbe Stunde atmen zu lassen, damit er sich vom Geruch des Korkens befreite und sein ganzes Bouquet entfaltete. Der Onkel zollte dem Wein indes auch so Beifall. Hernach überließen sie sich ganz den kulinarischen Genüssen, in selbige nur beiläufig Bemerkungen einflechtend, welche, wiewohl wenig fundiert, für einander nahestehende Menschen ein gewisses Interesse bargen. Über Martins Eltern, die nun bereits den zweiten Monat an den sonnigen Stränden Kubas zubrachten, über Martins jüngeren Bruder, diesen Hallodri, der – kaum ein Studium abgeschlossen – bereits das nächste aufgenommen hatte, mit der Begründung, der Beruf eines Juristen habe ihn enttäuscht, wohingegen er ihren eingeschworenen Feinden, den Journalisten, nunmehr eine mit Worten nicht zu fassende Sympathie entgegenbrächte. Auch über den Onkel sprachen die beiden, über seine kranke Leber, der das heutige Mahl ganz gewiss nicht behagen würde. Über die Mühsal mit der Neuberechnung der Rente, die den seit der onkelschen Kindheit gehegten Plan, einmal nach Madagaskar zu fahren, vorerst zunichte machte. Voller Genugtuung registrierte Martin im Laufe des Gesprächs, dass der Onkel seinen munteren Geist nicht eingebüßt hatte, auf sich achtete, ja, es sich sogar angelegen sein ließ, zum heutigen Abendessen eine Krawatte zu tragen, was bei einem Junggesellen einer Heldentat gleichkam. Schließlich pirschte sich Martins Onkel an seinen Neffen heran, um diesen zu dessen Arbeit zu befragen, sehr behutsam und taktvoll, in der Hoffnung, ihn zu überrumpeln und somit zum Sprechen zu bewegen. Martin zeigte sich indes auf der Hut, flüchtete sich in allgemeine Phrasen, antwortete weder mit ja noch mit nein, fiel nicht auf übermäßiges Lob oder Anspielungen herein, weshalb sein Onkel nach einer Weile zerknirscht aufgab und sich einzig auf
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