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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Autoren: Jutta Voigt
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Komikerin.
    Ich hoffe, dass ich im Alter über die geistige Leichtigkeit verfüge, die ich in meiner Jugend nicht hatte, dassich cooler bin als heute, sagt Barbara. Dass ich mir nicht alles so zu Herzen nehme. Ich werde eine Menge Erfahrungen gemacht haben und wissen, dass das Leben trotz aller Probleme immer weitergeht. Körperlich habe ich mich kaum verändert, ich bin so sportlich und drahtig wie heute, Falten, na, gut, die habe ich jetzt auch schon. Finanziell komme ich gerade so über die Runden, aber mein Job macht mir Spaß. Und ich werde, das hoffe ich sehr, ein Kind haben, mein Lebenspartner wird vielleicht nicht der Vater des Kindes sein.
    Aysel ist die einzige der fünf, die verheiratet ist und zwei Kinder hat: Jung- oder Altsein ist relativ, unter den vielen alten Müttern um mich herum fühle ich mich sehr jung. Als ich mit sechsundzwanzig heiratete, fragten meine deutschen Freunde voller Mitleid: O Gott, du heiratest schon, willst du nicht noch was machen? Für meine Angehörigen in der Türkei hatte ich mit sechsundzwanzig die letzte Chance auf ein anständiges Frauenleben. Elisa stimmt ihr zu: Für meine Familie in Serbien bin ich eine seltsame Person, die irgendwas studiert und irgendwelche Bücher schreibt. Für die habe ich meinen Lebensplan total verfehlt, für die bin ich verloren, Heirat zählt für sie mehr als Bildung. Die alten Frauen in meinem Dorf sind keine drei Jahre zur Schule gegangen, die sitzen abends auf der Bank vor dem Haus und erzählen den Jüngeren die immer gleichen Geschichten von Hochzeiten, Geburten und Todesfällen. Für die bin ich eine alte Jungfer. Auch in Deutschland giltst du mit Mitte dreißig unter Umständen schon als alt. In dem Kaufhaus, in dem ich als Verkäuferin gejobbt habe, haben sie einer Kollegin, die sich weiterbilden wollte, mitgeteilt, dass sie dafür zu alt sei, die war sechsunddreißig.
    Es ist ja nicht unbedingt unattraktiv, Falten zu haben, sagt Barbara, sie zeigen, dass du schon einiges hinter dich gebracht hast. Es hinter sich zu bringen, ist vielleicht nicht der Sinn des Lebens, kichert Aysel, also bei Falten, da denke ich eher an Botox und Oil of Olaz. Ich sehe uns schon alle Botox spritzen, juchzt Lotti; wenn alle Mädchen schön sind, gibt es keine schönen Mädchen mehr, hat jemand gesagt. Botox spritzen? Niemals, da gönne ich mir eher einen Joint oder ’ne Nase Koks, um mich schön zu sehen, sagt Elisa. Sport treiben, sich vernünftig ernähren, fit sein, das reicht doch schon, meint Barbara. Wie ein Öko-Apfel, gesund, aber verschrumpelt, spottet Aysel. Zigarettenpause, Fenster auf. Ein historischer Moment, stellt Saskia fest, die Kassette können wir uns als alte Frauen noch anhören und uns wundern, wie wir mit Dreiunddreißig gedacht haben. Neunzig Prozent aller Frauen tragen den falschen Büstenhalter! – Lotti zeigt ihren Freundinnen einen aus schwarzer Spitze, den sie sich heute gekauft hat.
    Kriegt ihr eigentlich Komplimente? Komplimente, ja doch, manchmal schon: Du siehst immer noch aus wie fünfundzwanzig. Du bist die Frau, die ich immer haben wollte. Habe ich gleich gesehen, dass du eine Intellektuelle bist. Hast du Sex gehabt, du siehst so toll aus. Ich konnte den Duft deines Parfüms nicht vergessen, zehn Jahre lang nicht. Eingeladen werden ist auch ein Kompliment, meint Saskia. Mein Freund, mit dem ich sieben Jahre zusammen war, hat mir in diesen sieben Jahren kein einziges Kompliment gemacht, erzählt Barbara, aber heute sagte mein Bearbeiter im Jobcenter zu mir: Sie sehen wunderbar aus, Frau Holster! Mein Bearbeiter!
    Was ist im Kopf einer jungen Frau – ein Mann, ein Kleid, eine Idee? Unsere Jugend ist irgendwie einsam, findet Lotti, wir haben wenig Möglichkeiten, unsere Schönheit zu präsentieren, uns zu zeigen. Die Clubzeit ist vorbei, man geht nicht mehr aus, es gibt nichts als Alltag, die Abendkleider hängen im Schrank. Männer, die mir gefallen könnten, sehe ich nur noch bei Kaisers um die Ecke. Ich gehe noch aus, sagt Luisa, in das Berghain, da geht man Sonntagmorgen hin und tanzt bis Sonntagabend, die Technoszene ist altersunabhängig. Lotti beharrt auf der Einsamkeit ihrer Jugend: Es gibt nichts, wofür man Leidenschaft empfinden könnte, keine Gemeinsamkeit unserer Generation. So eine diffuse Unverbindlichkeit, stimmt Saskia ihr zu, manchmal finden sich für kurze Zeit Gruppen mit gleichen Interessen, aber es geht alles schnell wieder auseinander. Man bekommt nicht einmal mehr Einladungen von anderen Paaren,
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