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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Autoren: Jutta Voigt
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so was in zwei Wochen erledigt. Es bereitet Schuldgefühle, mit einem lächerlichen Bänderriss so lange beschäftigt zusein, weil meine Bänder, das meint er doch wohl, der Herr Doktor, weil meine Bänder aus verschlissenem Material sind, altersbrüchig und unfrisch, das dauert dann eben. Und der Mann sieht auch noch gut aus. Wie ist es denn passiert, fragte ein Bekannter, der mich auf der Straße humpeln sah. Ich habe in einem Laden eine Stufe nicht als Stufe wahrgenommen, sagte ich. Sag lieber, du hast es dir beim Sport zugezogen, riet mir der fitnesstrainierte Installateur, das wirkt cooler; er meinte wohl jünger, um nichts anderes geht es in jugendwahnsinnigen Zeiten: jünger aussehen, jünger wirken, jünger werden. Jung, jünger, am jüngsten – warum bin ich so giftig.
    Als ich so vor mich hin hinkte, fiel mir die alte Frau ein, die mich vor Beginn einer Veranstaltung gefragt hatte, ob sie ihren Rollator neben mein Pult stellen dürfe. Der Zusammenhang zwischen meiner Person und einer Gehhilfe schien so absurd, dass ich sicher war, niemand würde eine Beziehung zwischen einem Rollator und mir herstellen. Großzügig erlaubte ich der alten Frau, ihren Gehwagen neben mein Pult zu stellen, so jung fühlte ich mich. Als ein Drehteam seine Scheinwerfer aufbaute, funkte mein Gehirn SOS: Du bist sehr wohl alt genug für den Zusammenhang! Ich bat die Dame, ihren Rollator doch lieber woanders abzustellen.
    Mein Schwiegervater ging in hohem Alter am Stock. Jedesmal, wenn ihm Professor Schuck, ein ehemaliger Kollege, begegnete, verbarg er den Stock hinter seinem Rücken, der alte Schuck sollte nicht sehen, wie weit es mit Heinrich gekommen war. Später stellte sich heraus, dass auch Schuck einen Stock bei sich gehabt hatte und ihn ebenfalls hinter seinem Rücken versteckt hielt.
    Das Leben ein Blues. An einem dunklen Nachmittag hörte ich mir auf Youtube »The Mooche« an, es war die Version von Duke Ellington aus dem Jahr 1928. Die elegischsten Bläsertöne über den Jammer und die Wonne des Lebens. Mitten im Blues rief Pedro an, seit Jahrzehnten in Brasilien ansässig. Die Zeit seines Anrufs war ungewohnt, gewöhnlich telefonierte er gern morgens um sechs, wenn er schon ein paar Gläser Rotwein intus hatte, in Sao Paulo war es dann so gegen zwei in der Nacht. Was heißt eigentlich The Mooche, Pedro? The Mooche, sagte er, sei ein Slangausdruck und bedeute Dealer; wenn er sich recht erinnere, hatte Charlie Parker das Stück seinem Dealer gewidmet, Moose The Mooche. Pedros Stimme klang verzagt. Wie geht es dir? Die Einsamkeit, sagte er, die Einsamkeit, du weißt nicht mehr, warum du da bist; mir fehlen die Gespräche mit Manon, sie war so streitlustig, das hat mich aufgemuntert.
    Unser Freund, der seit ewigen Zeiten an der Universität von Sao Paulo als Professor für Musikwissenschaften lehrt, hatte nach langem Zusammenleben seine Frau verloren, die ihn mit ihren Kapricen, ihrer Eifersucht und ihren Ansprüchen auf Trab gehalten hatte. Er hatte nun niemanden mehr zu umsorgen, war allein und verzweifelt. Wir besuchten ihn in seinem Ferienhaus in der Toscana, damit er in der schweren Zeit Menschen um sich hatte. Wir bräuchten zwei Schlafzimmer, sagten wir. Kein Problem, das Haus sei groß genug. Eins von den zwei Zimmern war das von Manon, seiner verstorbenen Frau, da wurde ich einquartiert. Es war noch so, wie sie es verlassen hatte, das letzte Buch, die letzte Medizin, ihre hellblauen Pantöffelchen. Pedro hatte nicht aufgeräumt. Ich bezog das Bett neuund sprach mir Mut zu. Ich wollte die hinterlassenen Gegenstände mit Empathie und nicht mit Angst vor den mystischen Energien der Toten betrachten. Unten im Haus stand noch ihr Nagellack, im Bad ihre Haarbürste und ihr Parfüm. Ich hatte Manon nicht gekannt, ich lernte sie erst jetzt kennen und zwang mich, ihr Duschgel zu benutzen und Pedros sich wiederholenden Erzählungen über seine tote Frau mit gleichbleibender Aufmerksamkeit zu folgen. Ihre Urne hatte er vorübergehend auf dem Kamin deponiert, zwischen einen Holzleuchter aus Afrika und einen Cowboyhut. Wenn wir abends vor dem Feuer saßen, sah Johnny in die Flammen und fror, er zog sich dann den dicken blauen Pullover an. Den hat Manon mir aus Norwegen mitgebracht, sagte er. Er sagte es jeden Abend: Den hat Manon mir aus Norwegen mitgebracht. Nach unserer Abreise hat er ihre Asche ihrem Wunsch gemäß im Garten verstreut.
    Sagt mal, habt ihr noch Kontakt zu Pedro?, hatte vor zwei Jahren jemand bei einem
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