Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Ereignis landete ich in der psychiatrischen Klinik. Nach zwölf Jahren, die ich dort verbracht habe, wurde ein bösartiges Karzinom im Darm festgestellt. Das war natürlich die Folge meiner schweren Verletzungen im Afterbereich. Die Muskulatur war nicht imstande, den Darm zu entleeren, deswegen blieben immer Stuhlrückstände im Darm. Das Immunsystem konnte auf Dauer nicht gegensteuern, Zellveränderungen führten zu Krebs. Ich wurde operiert, ein Teil des Darms wurde entfernt, anschließend Chemo- und Strahlentherapie, die ganze Palette.
    Ich erhielt einen künstlichen Darmausgang und brauchte jetzt zum ersten Mal seit meinem neunten Lebensjahr nicht mehr ständig Angst zu haben, mir in die Hose zu machen. Aus meiner Sicht war das ein enormer Fortschritt. Nun ist der Krebs aber wieder aufgetreten, und diesmal ist es aussichtslos für mich.
    Doch zurück zu Anton Eiríksson. Ich habe ihn sofort erkannt, als er nach Jóns Lesung in Berlin zu der Party des Botschafters kam. Er war auch schon als junger Mann nicht der Schlankste, und seitdem hatte er noch etliches zugelegt. Mich hat er zunächst wohl nicht erkannt, und ich hielt mich anfangs auch zurück. Wir haben kaum ein Wort miteinander gewechselt, bevor ich ihm sagte, dass er eine Visage wie ein Schweinearsch hätte. Da erst nahm er mich wahr und versuchte, sich daran zu erinnern, woher er mich kannte. Ich fühlte mich elend, ich hatte diesen Mann ganz und gar verdrängen wollen. Mir wurde schlecht, als ich ihm ins Gesicht sah, aber es wäre mir nie eingefallen, ihm zu sagen, was er mir angetan hatte. Es wäre sicher interessant gewesen, seine Reaktion zu beobachten, wenn ich vor versammelter Mannschaft das Wort ergriffen und den Anwesenden von unserer Begegnung in den Westfjorden erzählt und ihnen darüber berichtet hätte, wie er dieses Jüngelchen, das ich war, Nacht für Nacht gequält und im Innern zerrissen hatte. Das tat ich aber nicht. Ich bin daran gewöhnt, dass die Leute mich und das, was ich sage, nicht ernst nehmen. Schließlich gelte ich ja als geisteskrank.
    Dann begegneten wir uns noch einmal, als ich die Toilette im dritten Stock aufsuchen wollte. Auf einmal erinnerte er sich an mich, doch unser Gespräch war nur kurz. Ich kam gar nicht dazu, ihm von meinem Zustand zu erzählen, denn er ließ sich darüber aus, wie gut er zu den Kindern sei, an denen er sich vergeht. Das war zu viel für mich. Man kann mir ansehen, dass ich krank bin, und deswegen rechnet niemand damit, dass ich zu körperlicher Gewalt fähig bin. Anton schien jedenfalls keinen Grund zu sehen, sich vor mir zu fürchten. Er kümmerte sich gar nicht mehr um mich, sondern konzentrierte sich aufs Telefonieren. Ich nutzte seine Unaufmerksamkeit, um an das Messer heranzukommen, das in Helgis Kerzenleuchter versteckt war. Ich stieß es Anton in den Bauch, und weil das Messer extrem scharf war, hatte ich keine Mühe, ihm mit einem Ruck ein großes Loch in seine Wampe zu schlitzen, doch dann verließ mich die Kraft. Anton schrie zuerst und versuchte aufzustehen, ich schaffte es aber, ihn wieder auf den Stuhl hinunterzudrücken. Dazu bedurfte es auch keiner großen Anstrengung. Als er verstummte, bemerkte ich, dass mein rechter Arm mit Blut- und Eingeweidespritzern besudelt war. Ich zog die Jacke aus und drehte den Ärmel um, und dann habe ich den Ärmel auf der Toilette ausgewaschen und hochgekrempelt. Das Hemd war schwarz, deswegen fiel nicht auf, dass es nass war. Anschließend ging ich wieder nach unten. Dort hatte die Frau des Botschafters wegen irgendetwas Theater gemacht, und niemand achtete auf mich. Kurz darauf verließen wir die Botschaft.
    Mir ist völlig klar, dass bei einem derartigen Geständnis der Verdacht aufkommen kann, dass ich für jemand anderen die Schuld auf mich nehme. Aber das ist nicht der Fall. Zum Beweis händige ich mein Jackett und das Hemd aus, das ich an dem bewussten Abend getragen habe. Meine Aussage, dass ich das Jackett in Berlin vergessen hatte, war nicht korrekt.
    Weshalb habe ich dieses Geständnis nicht früher abgelegt? Vielleicht glaubte ich, mit meinem Schweigen durchkommen zu können. Es wäre angenehmer gewesen. Aber es darf nicht geschehen, dass jemand anderes für diese Tat verantwortlich gemacht wird. Aus diesem Grund habe ich sofort nach meiner Ankunft in Island mein Geständnis verfasst und es von Zeugen unterschreiben lassen. Es wird vorgelegt werden, falls jemand anderes des Mordes angeklagt wird, oder falls der Fall nach meinem Tod nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher