Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
geschnittenen Apfel darin, fährt sich mit den Fingern durchs Haar, legt ein Bein über das andere, die Ränder seiner kurzen Hose sind umgeschlagen wie der Saum eines Rocks, und ich schaue zum Fenster, eine schmale, gerade Palme wärmt sich dort sorglos in der Sonne, winkt mir Anteil nehmend mit ihrer Löwenmähne zu.
    So habe ich in meiner Kindheit vor ihm gesessen, in Erwartung des Tadels, Ella, ich muss dir ein paar Dinge mitteilen, hat er immer förmlich angefangen, er bestellte mich in sein Zimmer, das mir damals erstickend und ausweglos wie ein unterirdischer Verhörraum vorkam, und ich blickteverstohlen zu meiner Mutter, was habe ich getan? Was will er von mir? Und sie verzog mitleidig ihr Gesicht, ich habe keine Ahnung, aber die Tür schloss sich vor ihren Augen, und das heisere Klimpern seiner Gefängnisschlüssel war nur für mich zu hören, und dann sagte er, was er zu sagen hatte, mit ernster Stimme, langsam und gemessen, als lausche ihm ein großes Auditorium, er habe den Eindruck, dass mein Kopf nicht frei sei zum Lernen, er sei nicht zufrieden mit meinen Noten, er sei nicht zufrieden mit der Kleidung, die ich trüge, mit der Gesellschaft, in der ich mich in der letzten Zeit herumtriebe, mit den Büchern, die ich läse. Meine Mutter habe ihm zu verstehen gegeben, so drückte er es immer aus, als handelte es sich um eine geheime Botschaft, als gäbe es keine Worte zwischen ihnen, sondern nur eine geheime Verständigung über Zeichen und Gesten, meine Mutter habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich schon einen Freund hätte, und er wolle mich warnen, nicht zu weit zu gehen und nichts zu tun, was ich später bereuen müsste.
    Deine Mutter hat mir zu verstehen gegeben, dass du und Amnon vorhabt, euch zu trennen, fängt er an und verstummt sofort wieder. Seine Stimme ist dröhnend und zornig, als säße nicht nur ich hier vor ihm, seine einzige Tochter, sondern ein großes Publikum aufsässiger Frauen, eine revolutionäre Massenbewegung, die seinen Seelenfrieden bedrohte und die er mit allen Mitteln zum Schweigen bringen müsste. Ist das endgültig, fragt er, als hoffe er, der laute, durchdringende Ton, in dem er diese Frage stellt, würde ein sofortiges Verneinen zur Folge haben und er könnte dieses Treffen schnell beenden und zu seinen eigenen Angelegenheiten zurückkehren. Ich gestehe mit schwacher Stimme, wir wollten versuchen, ein paar Monate getrennt zu leben, und er räuspert sich, darf man fragen, warum, oder handelt es sich um zu private Dinge, bei dem Wort privat beginnter, nervös mit dem nackten Fuß zu wippen, und ich sage, wir passen einfach nicht zusammen, es geht uns nicht gut miteinander, deshalb haben wir beschlossen, nicht weiterzumachen. Der Plural macht es mir einfacher, als stünde in diesem Moment Amnon neben mir und bestätigte meine Worte. Wir schauen uns nicht mehr in die Augen, fahre ich fort, dabei bemühe ich mich, wie immer, wenn ich bei ihm bin, um eine gepflegte Ausdrucksweise, damit er nicht sagen kann, deine Sprache verkommt, was liest du in letzter Zeit? Und dann schweige ich, ich bin nicht bereit, mehr als drei Sätze zu diesem Gespräch beizusteuern, denn es ist kein Gespräch, noch nie hat es zwischen uns ein Gespräch gegeben, und ich betrachte schweigend das Wippen seines Fußes, bestimmt wird er gleich wie unabsichtlich mein Knie treffen, ein scharfer, gut gezielter Schlag, um meine Bewegungsfähigkeit zu schwächen, um meine Pläne zu stören.
    Du weißt, dass ich mich noch nie in deine Privatangelegenheiten eingemischt habe, sagt er mit fester kühler Stimme, aber diesmal fühle ich mich verpflichtet, auf die Sache einzugehen, weil es sich hier nicht nur um dich und Amnon handelt, zwei erwachsene Menschen, die sich Fehler erlauben können, es geht um einen kleinen Jungen, der den Preis für diesen Fehler bezahlen muss, doch er hat nichts, womit er bezahlen könnte, seine Kasse ist leer. Und schon schweigt er und prüft die Wirkung seiner Worte, die Wirkung seines Eröffnungsschlags, sorgfältig geplant, wie er seine Vorlesungen plant, als erwarte er, dass ich wie eine fleißige Studentin sofort einen Block und einen Stift zücke, um das Gesagte zu notieren, Wort für Wort, es geht hier um einen kleinen Jungen, der für den Fehler bezahlen muss, doch er hat nichts, womit er bezahlen könnte, seine Kasse ist leer, leer.
    Und dann wird er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher