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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich?
Autoren: Carol Hagemann-White
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selbst mit Funktionen der Normenvertretung versehenen „sozialen“ Beruf. Diese Zwangslage, die Ausweglosigkeit von eingeschränkten Lebensperspektiven, erzeugt eine Ideologie des freiwilligen Verzichts. Bei den Feten ist nach Mitternacht sowieso nichts mehr los; die Männerberufe sind schmutzig, belastend und zu unpersönlich; Aufstieg macht kaputt; Fußballspielen macht eh keinen Spaß. in einem Gruppengespräch mit „betrifft: Erziehung“ sind sich Lehrerinnen spontan einig, daß keine von ihnen je eine Schulleiterstelle würde haben wollen:
    „Ich halte es für das Unemanzipierteste, was es gibt, diese Männerrollen zu übernehmen, wo wir die Einzelchance haben, die irgendwo ein bißchen zu untergraben.“
    „ ... und dann sagte ich (zum Schulrat), aber bitte nicht weiter als bis zum Oberlehrer, weil beim Rektor fängt für mich ein Beruf an, den ich eigentlich nicht gewählt hab'. Ich möchte den pädagogischen Bezug haben.“
    „Ich würde es so sagen, daß wir gar nicht diese Funktionsstellen wollen, weil wir eben Lehrerinnen sein wollen … Ich bin oft heilfroh und sag' mir, wenn ich also diese ganzen Sachen nicht so richtig mache, in der Pausenaufsicht und den ganzen Schmarren, dann sage ich, die kriegen doch dafür so viel Geld, sollen die es doch machen. ich finde es so toll, daß mich das auch entlastet. Die haben sich dafür breitschlagen lassen, sind dafür Männer und dann sollen sie auch mal den Nachteil haben“
(Brehmer
1982, S. 63-65).
    Weibliches Verhalten und der weibliche Sozialcharakter wurzeln in der Kenntnis des symbolischen Systems der Zweigeschlechtlichkeit, dessen Werthierarchie mit institutionellen und ökonomischen Machtverhältnissen abgestimmt ist. Das, was „weiblich“ wäre, ist vertraut, nach Bedarf abrufbar, doch nicht identisch mit der Erfahrung des einzelnen Mädchens mit sich selbst, mit ihrem eigenen Bild von sich. Da aber die Verwirklichung einer eigenen, nichtangepaßten Identität in der Praxis riskant ist, und die Angst vor dem Ungewissen in jedem Falle sie begleitet, bleibt es eine ständige Möglichkeit der Entlastung, die herkömmliche Rolleneinteilung wieder anzunehmen.
    Nicht nur die gesellschaftlichen Anforderungen an die Frauen sind doppelbödig, auch die Frauen selbst verhalten sich doppelbödig dazu. Einerseits wissen sie, daß sie das, was Männer leisten, auch könnten; vor allem als Mädchen, aber auch später in Umbruchzeiten ihrer Lebensgeschichte rebellieren sie gegen die Einschränkungen, die ihnen verfügt werden, und die Kränkung, die in der gesellschaftlichen Geringschätzung ihres Könnens steckt. Andererseits erfahren sie, daß das Leben schwer genug ist, daß die Männern ihnen ihre „weiblichen“ Arbeitsbereiche und Belastungen auch in Notzeiten kaum abnehmen. So greifen sie auf die Geschlechterpolarität als entlastende Hilfskonstruktion zurück: Das ergibt immerhin Aufgaben, die sie nicht auch noch zu können brauchen, und Grenzen ihrer Verantwortlichkeit. Im Akzeptieren der vorgegebenen Grenzen der kulturellen Geschlechterstereotypen ist auch die Möglichkeit gegeben, zu sagen, „ich habe getan, was ich konnte; mehr wäre von mir nicht zu verlangen“. In Arbeiterfamilien, in Lebensverhältnissen, wo das Geld eigentlich nicht zum Leben reicht und alle Vorgänge des Alltags notgedrungen unrationell bewältigt werden müssen, ist es allein schon eine Leistung, mit den vorhandenen Mitteln den Haushalt zu schaffen und die Kinder durchzubringen; und es ist auch schon eine erhebliche Leistung, eine Arbeitsstelle zu halten und den Verschleiß der Arbeitsbedingungen auszuhalten. Der entlastende Rückgriff auf die Rolleneinteilung kristallisiert sich vor allem im Familienbereich heraus. Dort, wo mehr materielle und immaterielle Ressourcen verfügbar sind, werden Frauen vor allem im Spannungsfeld ihrer Berufsorientierung dazu gebracht, die Geschlechterpolarität als Entlastung aufzugreifen; denn gute Schulleistungen und eine höhere Ausbildung vermitteln einen geschärften Blick dafür, welche Chancen und Befriedigungen, aber auch welche Bedrohung eine reale, finanzielle wie persönliche Eigenständigkeit mit sich bringen könnte. Die tatsächlich gefällten „Entscheidungen“ – ob und wann Ehe, Kind, Aufgabe des Berufs – sind dann oft in hohem Maße zufällig, es sind eher Ereignisse, die dem Mädchen zustoßen, als bewußte Wahl; und die Spannung zwischen widersprüchlichen Perspektiven und Lebensentwürfen löst sich in Richtung auf das
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