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Soul Screamers: Todd (German Edition)

Soul Screamers: Todd (German Edition)

Titel: Soul Screamers: Todd (German Edition)
Autoren: Rachel Vincent
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blickte auf meinen Bruder hinunter. Es wäre sinnlos, ihm das Leben zu schenken, wenn er sich für immer mit Selbstvorwürfen plagte. „Ich tue es, wenn du mir versprichst, dass er nie erfährt, wer von uns hätte sterben sollen.“
    Das Lächeln, das sich auf dem Kindergesicht ausbreitete, verursachte mir trotz der lauen Luft eine Gänsehaut. „Das kann ich bewerkstelligen“, sagte er zufrieden.
    Auf einmal traf mich die Erkenntnis mit voller Wucht: Ich hatte gerade eine Entscheidung für die Ewigkeit getroffen. Wenn es tatsächlich so war, dass im Moment des Todes das Leben vor dem geistigen Auge vorüberzog – warum verspürte ich dann nichts als Reue?
    Der Reaper blickte abwechselnd mich und Nash an. Anscheinend genoss der kleine Mistkerl diesen Teil seines Jobs, denn um seinen Mund spielte ein Grinsen. „Letzte Worte?“
    Jeglichen anderen Gedanken verdrängend, kniete ich mich neben Nash. Ich hoffte inständig, dass er mich hören konnte. „Jetzt kann ich mich nicht mehr um dich kümmern, kleiner Bruder, also bau keinen Scheiß. Mach was aus deinem Leben!“
    Ich stand auf und drehte mich langsam um. Im selben Moment knallte etwas mit voller Wucht gegen meinen Brustkorb, und ich brach zusammen. Die Welt verschwamm vor meinen Augen. Nashs Gesicht wurde unscharf. Seine Augen waren geschlossen, doch ich hörte ihn husten. Er atmete.
    Der Reaper kniete über mir, die Locken im Licht des Mondes, der hinter der dicken Wolkendecke hervorgekrochen kam, grellrot. Das Lächeln dieses kleinen Mistkerls war das Letzte, was ich sah …

4. KAPITEL
    Grelles Licht drang durch meine Augenlider und enthüllte ein Netz roter Adern. Ein kurzes Blinzeln, und die Welt färbte sich weiß. Doch es war nicht das Weiß, das man mit dem Himmel verbindet, mit Wolken, langen Gewändern und Mädchen mit Flügeln. Es war Krankenhausweiß. Weiße Wände. Weiße Decken. Weiße Laken und weiße Kissen auf dem Bett, in dem ich lag.
    Die Erinnerung kehrte mit einem Schlag zurück. Ich setzte mich ruckartig auf und griff mir an die Brust. Ich spürte keinen Schmerz. Auch beim Einatmen fühlte sich alles normal an. Was mir wirklich seltsam vorkam.
    „Willkommen zurück.“
    Überrascht drehte ich den Kopf. Der kleine Reaper saß auf einem Stuhl neben einem verdunkelten Fenster, die kurzen Haare im Neonlicht leuchtend rot. Er war so klein, dass seine Füße in der Luft baumelten, sein Lächeln wirkte aufgesetzt.
    „Solltest du dich nicht um Schneewittchen kümmern?“, fragte ich gereizt und rieb mir erneut über die Brust. Ich konnte kaum glauben, dass mir nichts wehtat. „Warum hat mir niemand gesagt, dass der Tod in Gestalt eines hinterlistigen kleinen Zwergs daherkommt?“
    Im Gesicht des Reapers zuckte eine rostbraune Augenbraue. „Ich glaube, du bist der Erste, der diese Umschreibung verwendet.“
    „Bin ich auch der Erste, den du mit einem … womit hast du mich da eigentlich umgenietet?“
    „Mit dem Pfosten des Verkehrsschilds, das du niedergewalzt hast.“ Er zuckte die Schultern. „Und nein, du bist nicht der Erste. Ich hätte dich auch töten können, ohne dich zu berühren, aber für deine Familie und den Gerichtsmediziner ist es leichter, wenn eine Todesursache erkennbar ist. Auf den ersten Blick sieht der Schlag mit einem stumpfen Gegenstand so ähnlich aus, wie wenn deine Brust vom Lenkrad zerschmettert worden wäre. Du hättest dich wirklich anschnallen sollen.“ Er schüttelte in gespieltem Tadel den Zeigefinger. „Aber am schwierigsten war es, dich ins Auto zurückzuwuchten.“
    „Du hast ziemlich viel Kraft für ein Kind.“
    Die Miene des Reapers verfinsterte sich schlagartig. „Wenn du mich tatsächlich für ein Kind hältst, dann hätte ich dich besser im Sarg liegen lassen sollen.“
    Die Erwähnung meines Todes brachte mich kurz aus dem Konzept. „Apropos, was hat diese Zusatzvorstellung hier zu bedeuten?“ Ich hatte mein Leben gegen Nashs eingetauscht – oder es zumindest versucht –, aber wenn ich noch lebte, war er dann tot?
    Wütend sprang ich von der Liege. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich ein steifes weißes Hemd trug. „Was zum Teufel ist hier los?“, fragte ich barsch. „Wir hatten eine Abmachung! Mein Leben gegen seins!“ Ich ballte die Fäuste, doch bevor ich etwas Unüberlegtes anstellen konnte, begriff ich, dass ich wohl kaum Ersatzansprüche stellen konnte. Was war die Alternative, bevor ich ein Kind schlug? Ein totes Reaper-Kind, um genau zu sein? „Ich möchte mit deinem
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