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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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dafür um Vergebung zu bitten.«
    Das Gemisch aus Gesängen und Flüsterstimmen warwieder zu hören, der Kirchturm begann zu läuten. Bapaume zuckte so heftig zusammen, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor.
    »Mein Gott, erschrecken Sie doch nicht so. Das ist nur unser Einauge.«
    Das arme Tier sah furchtbar aus. Ihm fehlte das halbe Gesicht, keine Haut mehr über dem Kiefer, und sein Auge in der Größe eines Golfballs, das nur lose seitlich am Schädel hing und jeden Moment zu Boden zu rollen drohte, schickte verzweifelt und lilafarben seinen fossilen Blick hinauf in den Himmel. Louis erkannte darin das Ding wieder, dem er kurz zuvor am Wegesrand begegnet war.
    »Der Hund des Bettlers«, sagte Julia und kraulte ihm den Hals. »Irgendjemand, keiner weiß wer, keiner weiß warum, hat ihm eines Tages heißes Öl über die Schnauze gekippt. Und das ist das Ergebnis. Sein Herrchen bekam so einen Schreck, dass er in derselben Nacht noch vom Leben zu den Seligen ging. Alles kann geschehen, wissen Sie. Seitdem gehört Einauge niemandem mehr, jeder gibt ihm ein wenig zu fressen. Alle drei Monate taucht er unvermutet wieder auf. Er verbringt einige Tage hier bei uns, geht dem edlen Beruf seines Herrn nach und zieht dann weiter, mit einem Ausdruck, als würde er Dinge verstehen, die nicht zu verstehen sind. Du bist nicht der Hübscheste, aber dafür kannst du ja nichts, hm, mein Ein auge?«
    Sie drückte ihre Wange an den Hals des Hundes.
    »Doch andererseits. Fühlen Sie sein Fell, wie weich es ist. Wie eine Wolke.«
    Louis reagierte nicht.
    »Ich versichere Ihnen, er ist kein böses Tier, Monsieur Bapaume. Wer böse ist, schlägt sich besser durchs Leben, glauben Sie mir.«
    »Ich habe fürchterliche Angst vor Tieren. Ich habe in meinem Leben noch keinen Hund angerührt.«
    »Das Glück ist für Sie nichts Leichtes.«
    Sie streichelte wieder den Hund mit ihrem Fäustling.
    »Sie reden von Schlägen auf den Hinterkopf, Monsieur Bapaume. Doch soweit ich mich erinnern kann, taten Sie das die wenigen Male, die so etwas vorkam, mit einem Bündel Notenblätter: Damit konnten Sie mir den Schädel nicht einschlagen. (Und lachend fügte sie hinzu:) Meine Birne ist aus anderm Holz gemacht, was, mein Einauge! Und dann, das geb ich zu, war da noch die Geschichte mit den Linealschlägen auf die Schenkel. Einmal musste ich mich auch, weil ich beim Notendiktat gelacht hatte – Sie nannten das Notenunterricht –, eine Stunde lang hinknien, und Sie hatten mir die Hände hinter den Rücken gebunden, vielleicht ein bisschen zu stramm …«
    Bapaume biss sich, die Augen geschlossen, in die Faust.
    »Aber das«, sprach sie schnell weiter, »ich erinnere mich noch, darüber habe ich schon am nächsten Tag gelacht. Und ansonsten? Was haben Sie sich vorzuwerfen? Sehen Sie mich an, Monsieur Bapaume. Ich hätte damals nie gedacht, dass Sie so unglücklich waren. Jetzt bitte ich Sie, verzeihen Sie mir.«
    »Oh, sagen Sie nicht so etwas, ich flehe Sie an. Sagen Sie nicht so etwas. Ihre Schwester hat nämlich nicht vergessen, was ich Ihnen angetan habe. Ich habe gesehen, dass sie mir noch böse war.«
    »Ach, das. Meine Schwester hat Ihnen vielleicht ein wenig ihre schlechte Laune bekundet heute Nachmittag, aber so ist sie bei allem, was mich betrifft, sie sieht mich ein wenig als ihr Eigentum an.«
    »Auf jeden Fall hasste Geneviève mich schon damals, vor zwanzig Jahren.«
    »Glauben Sie doch so etwas nicht«, sagte sie, und es lag Erstaunen und sogar Mitleid in ihrer Stimme. »Ich kenne meine Schwester, das können Sie sich denken. Und vielleicht war es damals so, nicht wahr, dass Sie nur Augen für ihre Zwillingsschwester hatten. Ihre Bemühungen beachteten Sie kaum. Sie stand in ihrer Ecke und schaute uns an, Sie vor allem, glaube ich. Zwanzig Jahre danach kommen Sie zurück, und wieder wollen Sie nur mit ihrer Schwester sprechen. Geneviève hat darunter gelitten vielleicht, ich weiß es nicht.«
    »Also auch da wäre ich ungerecht gewesen …«
    »Aber nein.«
    Der Hund richtete sich auf, und Louis wich einen Schritt zurück. Das Tier ging davon, als sei nichts gewesen. Bapaume griff sich seinen Koffer. Er drückte ihn sich gegen den Bauch.
    »Was wollen Sie mir noch sagen, Monsieur Bapaume? Ich bin müde. Ich sehe eine Frage in Ihren Augen.«
    »Die Musik …? Haben Sie weitergemacht? …«
    Julia antwortete nicht sogleich. Mit einem Hauch von Unwillen und auch von Mitleid, so als müsse sie trotz des Kummers, den sie ihm wohl oder übel
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