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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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Fensterscheibe. Drinnen war eine Minute der Andacht zu beobachten. Alle knieten zum Gebet. Die Kerzen schimmerten über den Köpfen wie ein Sternenteppich. Sie setzte sich auf die oberste Stufe der Außentreppe.
    »Ich war grob zu Ihnen. Ich habe Ihnen Schläge auf den Hinterkopf gegeben. Und einmal, ich erinnere mich noch genau, mein Gott, wie schmerzlich es mir ist, das zu sagen … habe ich sogar das Lineal genommen und … und … habe Ihnen zehn Schläge auf die Oberschenkel verpasst … Zehn Schläge!«
    Julia brach in Gelächter aus.
    »Ach das, daran erinnere ich mich! … Aber die hatte ich auch wirklich verdient! War das nicht, als meine Schwester und ich versucht haben, die eine für die andere auszugeben? Die meisten Zwillinge vergnügen sich damit, besonders als Kinder, das ist nicht böse gemeint. Aber Sie waren ein schwerer Fall, Sie konnten uns am Klavierspiel unterscheiden. Ich habe wohl gesehen, dass Sie an dem Tag die Beherrschung verloren haben.«
    »Aber ich hatte kein Recht dazu!«
    »Gut, zugegeben, das war nicht sehr nett von Ihnen. Soll ich Sie jetzt dafür schelten? ›Na, da waren Sie aber ein böser, böser Junge!‹ So, fertig. Sind wir jetzt quitt?«
    Louis Bapaume hielt sich die Fäuste an die Schläfen.
    »Es ist mir ernst, Mademoiselle von Croft! Es ist schlimm, sehr schlimm, was ich da getan habe. Ich habemeine Macht missbraucht. Verstehen Sie? Mein Gott, muss ich alles erklären? Ich war das Gespött der ganzen Schule von Saint-Aldor. Meine Schüler störten den Unterricht, die anderen Lehrer, statt mich zu unterstützen, machten sich über meine Versuche lustig, Musik auf andere Weise zu unterrichten, sie verspotteten meine neue Methode! Das alles war Unsinn, ganz recht, und bald habe auch ich es gemerkt. Aber mein Lebenstraum fiel da in sich zusammen. Und geholfen hat mir keiner. Oh nein, geholfen hat mir keiner. Niemand.«
    Julia musterte diesen zerrütteten Mann, vor der Zeit gealtert, krank vielleicht. Er schien fast keine Luft mehr zu kriegen. Damit hätte sie niemals gerechnet. Was er getan hatte und für Verbrechen hielt, hätte sie selbst nicht einen Moment lang für Verfehlungen gehalten. Doch vielleicht täuschte sie sich. Die Inbrunst, mit der er sich beschuldigte, war so beeindruckend und auf eine Weise so verdächtig, dass sie in ihrem Herzen einen Zweifel säte, der Julia nicht mehr losließ. Bapaume hatte sein Gepäck abgestellt. Er lief auf dem Kirchhof auf und ab, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Dann blieb er plötzlich stehen:
    »Wenigstens gab es Sie. Sie, Julia, mit Ihrer großen musikalischen Begabung. An die ich mich klammerte wie an einen Rettungsring! Mit Ihrer Anmut, Ihrer Klugheit, Ihrer Lebendigkeit wogen Sie all die Erniedrigung wieder auf, die ich in der Schule erfuhr. Und ich habe Sie geliebt, Julia! Mein Gott, wie ich Sie geliebt habe! Wussten Sie das? Wussten Sie, dass ich oft nachts zu Ihrem Haus kam und hoch auf die Traufe stieg, um Sie durchs Fenster schlafen zu sehen? Ja, das habe ich getan, ich, Louis Bapaume!«
    Er schlug sich mit der Faust gegen die Brust, ohne dass genau zu ersehen war, ob es sich um einen bitteren Vorwurf gegen sich selbst handelte oder um ein stolzes Bekennen.
    »Und ich habe für Sie gebetet, Julia. Jeden Morgen, jeden Abend. Ich glaubte, dass Beten Unheil von Ihnen abwenden würde, ich war völlig verrückt. Ich schrieb für Sie kleine Stücke, die Sie spielen konnten. All die Sachen, die ich Sie spielen ließ, waren von mir. Ich hatte sie eigens für Sie komponiert.«
    Und er begann, eine rhythmische, impulsive Melodie zu summen, und schlug mit dem Arm den Takt dazu, rrram-tam-ta-tam, rrram-tam-ta-tam …
    Er hielt plötzlich inne.
    »Diese ganze Zeit ist sehr wirr in meinem Kopf. Ich habe also versucht, mir einzureden, dass alles nur Illusion ist, die Materie, die Welt, etwas in dieser Art. Viele zehrende Nächte verwandte ich allein darauf. Ich kam zur vereinbarten Zeit zu Ihrem Haus, erschöpft, halb aus der Welt, nur Musik konnte mich zurück auf die Erde holen. Und Sie, Sie vergnügten sich! Sie behandelten Ihre musikalische Begabung wie … wie ein altes Spielzeug, dessen man überdrüssig geworden ist. Sie versäumten Ihre Stunden, Sie seufzten laut vor Langeweile, Sie feixten hin ter meinem Rücken mit Ihrer Schwester über meine Kleidung oder über einige Worte, bei denen ich stottern musste, deshalb fuhr ich aus der Haut.«
    »So beruhigen Sie sich doch«, sagte sie sanft.
    »Ich bin gekommen, um Sie
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