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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs
Autoren: Colin Greenland
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bestimmt in keiner Weise interessierten. Doch hoffe ich, daß Sie mir verzeihen, wenn ich hier zugebe, daß ich Bruno in diesem Moment küßte. Wenn das eine Schande ist, dann muß ich jetzt tatsächlich vor Scham erröten, denn es war ein Kuß, der ihm beinahe den gerade wiederkehrenden Atem nahm – und meinen dazu, denn immer noch waren seine Lippen bitter vom Wein. Aber sein Gift war verbraucht und konnte mir nichts mehr anhaben.
    »Bruno«, entschuldigte ich mich und streichelte sein Gesicht, »ich bin blutverschmiert und rußbedeckt wie ein Schornsteinfe ...«
    Doch es störte ihn nicht. Er beugte sich vor und küßte mich seinerseits, und so ging es eine ganze Weile hin und her, wie Sie sich sicher denken können. Wenn nicht, brauchen Sie mich nicht dazu, es Ihnen zu erzählen, denn darüber können Sie wohl in jeder Erzählung lesen – ausgenommen der von Mr. Crusoe.
    Ich habe nun die Geschichte meiner langen und verzwickten Heimkehr geschildert, wie sie wirklich war. Jetzt bleibt nicht mehr viel zu berichten, denn der Rest ist schnell gesagt. In diesem Haus aßen und tranken wir natürlich nichts mehr. Aber Bruno konnte immer noch nicht ohne Hilfe aufrecht stehen oder gar gehen. Im Gang trafen wir auf eine seltsam gewundene Kreatur ähnlich einer großen, dünnen Schnecke. Bruno wußte, wie man sie bediente, und so rollte sie neben uns her. Bruno lehnte sich dabei auf ihren Rücken, während ich ihn auf der anderen Seite stützte. Es dauerte fast eine ganze weitere Stunde, bis wir uns mühsam an die Oberfläche vorgearbeitet hatten. Der arme, versengte Ochse war auf der Suche nach Wasser zurückgekommen. Ich fütterte ihn mit einer Handvoll Heu, fing ihn mit einem Seil ein und band Bruno mit den stärksten Knoten, die ich kannte, hinter ihm fest. Als Bahre benutzte ich die Überreste eines zerbrochenen Stuhls.
    Wir überließen das Haus der Fürsorge der niedergeschlagenen Schnecke. Ich trieb den Ochsen durch Schlamm und Schnee zur Straße, die unterhalb des Hunchback Fells entlangführte. Schließlich erreichten wir die Bucht, in der Captain Andreas uns schon voller Sorge erwartete. Die Besatzungsmitglieder stürzten uns entgegen und brachten uns an Bord, wo sie uns mit Brandy, sauberer Luft, Suppe und Salben für unsere Verletzungen versorgten. Sofort warfen wir die Leinen los und stiegen unter vollem Tuch auf, durchpflügten den dichten grünen Morgen und nahmen Kurs auf Venus, um uns auf Gedeih und Verderb der Gnade der Gilde auszuliefern. Ich erinnere mich noch, wie die Sonne in der Takelage hin- und herschwang wie eine goldene Glocke und die Sterne sich wie Silberregen vor uns ausbreiteten.
     

EPILOG
    Im Hafen von Venus überschatten Palmbäume Wände aus fleckigen Ziegeln. Die Namen großer Navigatoren prangen als Goldmosaiken über den Toreinfahren – FERRERA, PHILEMON, COOK. Die Kolonnaden säumen Marmorbüsten der Väter des Fliegens, die ernst aus ihren Nischen ins Nichts starren. Die jungen Leute, die sich um die Aufnahme in die Höchst Ehrenwerte Gilde und die Erhabene Hierarchie der Piloten von Aether bemühen, müssen in der Prüfung diese Namen und die all der anderen Statuen kennen, die im Geviert aufgestellt sind. Der Steward im Aeyrie kennt sie alle, jede sternäugige Nymphe, jede astrale Gottheit. Doch heute gönnt er ihnen kaum einen Blick.
    Er eilt durch ein Tor mit dem Schild NUR FÜR PERSONAL auf einen gepflasterten Hof hinaus und passiert ein Gitterspalier, das zwar noch ziemlich neu, aber doch schon von Ranken überwachsen ist. Dahinter staksen Pfaue und grüne Fasane aus Japan durch das Gras, und ein Mulatte kehrt die abgefallenen Blätter zusammen. Ein ältlicher Captain mit einer goldbetreßten Mütze unterhält sich mit einem Engel. Der Captain raucht nonchalant eine Zigarre, die in einem Adapter steckt. Er redet mit dem Engel hauptsächlich mit Hilfe der Hände, unterhält sich mit ihm in Vakuumisch. Jetzt macht er das Zeichen für ›Proviant‹. Der Engel sitzt hochzivilisiert mit vorgeneigtem Kopf neben ihm, hat die Hände auf die Knie gelegt und die Flügel höflich zusammengefaltet. Mit einer Hand deutet der Captain zu den unsichtbaren Sternen hinauf. »Andromeda«, signalisiert er.
    Drinnen, unter der Kuppel der großen Halle, gehen die Dinge weniger bedächtig vonstatten. Immer hängen hier Leute herum, Gaffer und Faulpelze, die ihr Seemannsgarn spinnen – insbesondere alte Männer, die ihre Tage in den Wartesälen verbringen, die Karten und Fahrpläne studieren und
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