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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch
Autoren: Joseph Hayes
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hinter mir haben.
    Aber ich sah, daß er nur darauf wartete, in abwehrbereiter Haltung, mit gespreizten Beinen, gespannten Muskeln. Wieder unterdrückte ich die Aufwallung.
    Als er merkte, daß ich nicht zum Angriff übergehen würde – die Genugtuung wollte ich ihm nicht geben! –, sagte er: »Warum die Wahrheit nicht zugeben?« Und ich hörte betroffen einen fast flehenden Unterton heraus.
    Ich rührte mich nicht.
    Da sank er so unvermittelt, wie er aufgebraust war, wieder in seine übliche schnoddrig-spöttische Haltung zurück. »Der Krieg ist sowieso überall, was, Paps?« Sein Ton war leicht, fast wieder spielerisch. »Auf den Straßen, im Wohnzimmer, in den Klubs, im Schlafzimmer.« Er schnaubte und flegelte sich hin. »Meistens in den Schlafzimmern, was? Animalische Naturerscheinung. Wem willste denn was vormachen, Paps? Vielleicht dir selbst-selbst?«
    Unwillkürlich trat ich einen Schritt auf ihn zu. »Hören Sie mal, Sie jämmerlicher Bastard, manchmal geht es nicht ohne Gewalt. Manchmal ist Gewalt das einzige, was die Leute begreifen.«
    Stille. Wilby regte sich nicht. Ich spürte, daß Jenny sich gespannt aufrichtete.
    »Soll das 'ne Drohung sein, Paps?« Wilby sagte es ohne Nachdruck, sorglos – fast amüsiert.
    »Stimmt genau. Es ist eine Drohung«, erwiderte ich.
    »Beruhige dich, Mann. Ich mach' mir nichts aus Drohungen.«
    »Ich auch nicht.«
    Wieder Schweigen.
    Dann kicherte Wilby. »Weißt du, Paps, ich bin wahrscheinlich der einzige wirklich jämmerliche Bastard, den du jemals so beschimpft hast. Ich bin legitim illegitim. Wie findest du das?«
    Ich hielt mich mühsam davon ab, auf ihn loszugehen. »Sie haben Ihr Späßchen gehabt. Das Spiel ist aus.«
    Wilby streckte die Hand mit dem Glas aus, und Jenny schenkte wieder nach. »Man könnte fast meinen, Jenny, daß Paps was gegen unsere Gesellschaft hat. Ißt nicht mit uns, beleidigt uns –«
    »Wo sollen wir sonst hin?« fragte Jenny – und ich war mir nicht sicher, ob ich Ironie aus ihrer Klage heraushörte. »Wo?«
    »Frag ihn doch, Jenny.«
    Sie drehte sich um und schaute mich an. »Wohin? Wir haben keine Bleibe. Wohin?«
    »Ich habe euch schon gesagt, wo ihr hinkönnt«, sagte ich.
    »Haste nicht auch gedacht, Anwälte wären vernünftige Leute, Jenny-Baby?«
    »Ich war lange genug vernünftig. Viel zu lange. Ich kenne mich zufällig mit dem Recht aus. Ich weiß, was ihr tun und behaupten könnt, aber dann steht eben euer Worte gegen meines.«
    »Und du bist 'ne Respektsperson, was –«
    »Ich stehe in dem Ruf, mich an die Wahrheit zu halten, ja.«
    Wilby tänzelte mit ausgestreckten Armen über den Teppich, als balanciere er auf einem Drahtseil. »Sind Gesetze wirklich, Paps?«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Du hast schon verstanden.«
    »Ich habe nicht vor, mit Ihnen über Gesetze zu debattieren –«
    »Dann eben über die Wirklichkeit. Diskutieren wir über die Wirklichkeit. Ist die Wirklichkeit wirklich? Existiert sie tatsächlich? Oder bilden wir sie uns ein, und existiert sie nur deshalb?« Er drehte auf einem Bein eine Pirouette. »Ich, zum Beispiel, Paps. Bin ich für dich wirklich?«
    »Das müssen Sie wohl sein«, entgegnete ich, »weil ich mir Sie nicht mal im Traum ausdenken könnte.«
    »Oh, nett-nett! Den Mann muß man gehört haben, Jenny! Er hat's fast begriffen, der Spießer.« Er sprang von dem imaginären Drahtseil herunter und verbeugte sich übertrieben, wozu Jenny applaudierte.
    »Vielleicht packstes doch noch, Paps.«
    Diesmal trat ich einige Schritte auf ihn zu, ehe ich mich bremsen konnte.
    Wilby wich zurück. »Ich sag's meinem großen Bruder«, warnte er mich und tat so, als kauere er sich ängstlich zusammen.
    »Dein Bruder wird nicht auf dich hören«, warf Jenny dazwischen und ließ mich nicht aus den Augen. »Hat er noch nie.«
    »Paps weiß nicht, wer mein Bruder ist.« Wilby senkte nach einem Augenaufschlag feierlich den Kopf. »Du nennst ihn Gott, das ist mein großer Bruder. Mein taubstummer, blinder, allmächtiger Bruder, der alle Strippen zieht und doch nicht existiert, nicht mal in meiner Phantasie.«
    »Sie sind verrückt«, sagte ich gedankenlos.
    Er riß den Kopf hoch und wurde starr. »Paß auf, was du sagst, Mann.« Es war nicht seine Stimme, sondern ein tonloses Flüstern.
    »Ich kann beweisen, daß es nicht mein Kind ist.« Mir schien es plötzlich sehr wichtig, meinen Verstand beisammenzuhalten, nicht loszuschlagen, diesen verrückten Alptraum nicht in Brutalität ausarten zu lassen,
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