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Sommerglück

Sommerglück

Titel: Sommerglück
Autoren: Luanne Rice
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war.
    »Hallo?«
    »Bay, Frank Allingham am Apparat«, drang eine tiefe Stimme an ihr Ohr.
    »Hallo, Frank.« Frank war ein langjähriger Freund von Sean, ihre Geschichte so eng miteinander verwoben, dass es schwer fiel, die Anfänge auszumachen: Highschool, College, Wirtschaftsstudium, der Bootsliegeplatz, die Bank.
    »Bay, ist Sean da?«
    »Nein«, entgegnete sie, den Blick auf Annie gerichtet. Ihre Tochter hatte unablässig Bays Miene beobachtet, doch ihre Aufmerksamkeit in dem Moment, als sie merkte, dass der Anrufer nicht Sean war, wieder dem Kleiderschrank zugewandt. Nun kniete sie auf dem Boden, kramte zwischen den Schuhen ihres Vaters herum, als suchte sie etwas.
    »Du weißt nicht zufällig, wie ich ihn erreichen kann?«
    »Keine Ahnung, Frank.« Bay entdeckte eine Spur von Unbehagen in seiner Stimme. »Stimmt etwas nicht?«
    »Weißt du vielleicht … hat er dir gegenüber erwähnt, was heute auf seinem Terminkalender stand?«
    »Ja – er sagte, heute Nachmittag sei eine Besprechung des Kreditausschusses anberaumt.«
    »Er wusste es also …«
    »Was ist denn passiert?« Bay hörte, wie Annie nach Luft schnappte und tiefer in Seans Kleiderschrank hineinkroch. Sie wollte gerade zu ihrer Tochter gehen, um dem Treiben ein Ende zu machen, doch bei Franks Worten blieb sie wie angewurzelt stehen.
    »Wahrscheinlich nichts«, sagte Frank, und sie konnte beinahe hören, dass er sich wünschte, er hätte gar nicht erst angerufen. »Aber er war nicht da, Bay. Wir haben auf ihn gewartet, und es standen ein paar wichtige Entscheidungen an, zehn Antragsteller, für die sich entscheiden sollte, ob ihre Hypotheken bewilligt werden. Mark war nahe daran, einen Tobsuchtsanfall zu bekommen.«
    Mark Boland war der Vorstand der Bank – und Zielscheibe von Seans größtem heimlichen Groll. Nach dem Erfolg des neuen Geschäftsbereichs hatte er gehofft, für den Posten vorgeschlagen zu werden, aber die Bank hatte sich für den Quereinsteiger Boland von Anchor Trust entschieden.
    »Ist alles in Ordnung mit Sean? Es sieht ihm gar nicht ähnlich, sich vor einer wichtigen Besprechung zu drücken.«
    »Stimmt.«
    »Würdest du ihm bitte ausrichten, dass ich ihn angerufen habe, sobald er nach Hause kommt?«, bat Frank.
    »Mach ich. Danke für den Anruf.«
    Aber sie hatte ihr Versprechen schon halb vergessen. Annie dreht sich zu ihr um, mit schneeweißem Gesicht. Ihr Mund stand offen, ihr Blick war verwirrt, dunkel, verletzt.
    »Was ist denn, Annie?«
    »Ich kann nicht sagen, ob Daddy seine Sachen mitgenommen hat. Sein Koffer ist noch da. Aber ich kann seine Bootsschuhe nirgends entdecken. Die braucht er aber nicht, wenn er ins Büro geht. Und er hat noch etwas anderes mitgenommen …«
    »Was?«
    Aber Annie schüttelte nur den Kopf, Tränen liefen über ihre Wangen. »Er hat gesagt, dass er es nie zurücklassen würde, egal was passiert. Es ist nicht da, Mommy. Er hat es mitgenommen. Daddy ist fort!«

[home]
    2
    A nnie lief durch das ganze Haus, blickte in sämtliche Vorrats- und Kleiderschränke. Bay spähte kurz nach draußen, sah Pegeen und Billy, die Fangen spielten. Sie ging in Seans Arbeitszimmer, wo er sich ein Büro eingerichtet hatte. Nachdenklich betrachtete sie den Computer und überlegte, was zu tun war.
    Sollte sie die Polizei verständigen?
    Aber was sollte sie sagen? Dass Sean an einem ganz normalen Arbeitstag seine Bootsschuhe mitgenommen hatte, nicht zu einer Besprechung erschienen war, es versäumt hatte, Peg abzuholen? Die Polizei würde sie darauf hinweisen, dass er sich vermutlich im Hafen aufhielt oder zum Fischen gefahren war. Ihr Herz klopfte heftig, wie zu Beginn eines Wettlaufs, wenn es galt, das Tempo zu beschleunigen. Als sie den Hörer abheben wollte, merkte sie, dass ihre Hand zitterte.
    War Sean gerade bei Lindsay oder einer anderen?
    Als Sean hoch und heilig versprochen hatte, dass alles anders werden würde, hatte sie seine Worte auf Lindsay oder andere Frauen bezogen; doch als sie nun versuchte, sich rückblickend einen Reim auf die Geschehnisse des heutigen Tages zu machen, fragte sie sich, ob es nicht noch andere Geheimnisse gab. Sie verspürte ein Kribbeln in der Magengrube wie schon seit Monaten nicht mehr – das rein physische Gefühl, dass ihre Welt aus den Fugen geriet und sie sich einen Rettungsanker suchen musste, an den sie sich klammern konnte.
    Annie bog um die Ecke, die Wangen tränenüberströmt.
    »Wir müssen die Polizei benachrichtigen, Mom.«
    »Annie, ich glaube nicht
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