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Sommerglück

Sommerglück

Titel: Sommerglück
Autoren: Luanne Rice
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letzter Kraft und brennenden Lungen krallte sie ihre Finger in die Haare, umschlang den leblosen Körper mit den Armen und stieß sich mit den Beinen ab, wie eine Schwanenmutter, die ihr Junges in gefährlichem Gewässer unter ihre Fittiche nahm. Bay brachte Eliza an die Oberfläche.
    Dan war neben ihr, als sie auftauchte, nach Luft schnappte und ihm seine Tochter übergab. Als sie aus dem eisigen Wasser stiegen, sahen sie sich von blauen Lichtern umgeben, Blaulicht, das vom Wald herüberblinkte.
    Durch den Schlamm kriechend, würgte Bay, spie Wasser und Laub aus. Mit Händen, die so taub waren, dass sie ihre Finger nicht mehr spürte, riss sie das silberne Isolierband von Elizas Mund.
    Elizas Augen waren geschlossen, ihr Gesicht blau angelaufen, ihre Lippen weiß.
    Dan hievte sich aus dem Schlamm, hielt sein Kind in den Armen, und Bay dachte daran, wie Sean Annie nach ihrer Geburt in die Arme genommen hatte, während sie zum ersten Mal Freudentränen vergoss. Sie sah, wie Dan ihr auf den Rücken klopfte, damit sie Wasser ausspie. Er bog ihren Kopf zurück, schüttelte sie heftig, küsste ihr Gesicht, dann legte er sie rasend vor Angst auf den Boden.
    »Eliza«, rief er, als wollte er sie für die Schule wecken. Er holt tief Luft, begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Einmal, zweimal blies er seiner Tochter den lebenspendenden Atem in den Mund.
    »Komm zurück!« Bays Stimme klang heiser, und sie hätte schwören mögen, dass sie Engelsschwingen in der Luft hörte, von Sean und Charlie, die über Eliza wachten.
    Doch die Worte, wer immer sie auch ausgesprochen hatte, verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie waren stark, genau wie Dans Wille, Eliza zu retten, und Elizas Bedürfnis, zu leben.
    Denn sie hustete. Sie hustete und rollte auf die Seite, um Meerwasser zu erbrechen. Sie würgte lange Zeit. Dann, als es vorbei war, blickte sie in das Gesicht ihres Vaters, in seine Augen. »Daddy«, sagte sie, schlang die Arme um seinen Hals und begann zu weinen.

[home]
    34
    D er Winter schien kein Ende zu nehmen, war länger als je zuvor.
    Die Weihnachtstage vergingen wie im Fluge, und obwohl Bay allen Grund hatte, dankbar zu sein, war sie zum ersten Mal in ihrem Leben froh, dass sie vorüber waren. Monde kamen und gingen, manche bei sternklarem Himmel, andere verhüllt von Nebel, Wolken und Schneetreiben. Bay besaß eine innere Uhr, die ihr die Mondzyklen anzeigte, sie stets auf die Macht und Unerbittlichkeit der Natur aufmerksam machte – im Universum, im Garten, in ihrem eigenen Leben.
    Vieles im Leben war für sie neu und ungewohnt. Sie sah regelmäßig die Nachrichtensendungen im Fernsehen, las Zeitung und musste sich fragen, ob sie ihr bisheriges Leben verschlafen hatte, umgeben von Menschen, die sie zu kennen meinte, die ihr vertraut waren. Menschen, die plötzlich eine ihr völlig unbekannte Seite offenbarten.
    Mark und Alise Boland wurde der Prozess gemacht; die Anklage lautete auf Mord, versuchten Mord, Entführung, Bankbetrug, Mitwisserschaft und Unterschlagung. Frank Allingham war ebenfalls mit von der Partie gewesen und musste sich wegen Bankbetrug, Mitwisserschaft und Unterschlagung verantworten. Seans Rolle war ebenfalls ans Tageslicht gekommen: Er hatte Kundengelder veruntreut und musste letztlich sterben, weil er sich der Ermordung Elizas widersetzt hatte.
    »Wie konnte ich so blind sein und nicht das Geringste bemerken?«, fragte sie Tara eines Abends im März.
    »Weil du zu vertrauensselig bist«, erwiderte Tara. Sie hatten es sich im Schlafanzug und Bademantel gemütlich gemacht und lauschten dem Heulen des Sturms, der vom Sund herüberwehte. »Weil du Sean geliebt hast. Weil dir Mark und Alise sympathisch waren.«
    »Ich war der Meinung, wir wären befreundet. Sean auch. Und sie brachten ihn kaltblütig um.«
    »Und räumten Elizas Mutter aus dem Weg.«
    »Und um ein Haar hätten sie auch Eliza getötet. Ach Tara … in was für einer Welt haben wir gelebt? Wir waren mittendrin, hätten doch als Erste etwas bemerken müssen, und ich hatte nicht die geringste Ahnung …«
    Obwohl es bereits März war, hatten sie das Geschehene immer noch nicht richtig verkraftet. Die Dunkelheit, die in jener Novembernacht über sie hereingebrochen war, in der Eliza beinahe den Tod gefunden hatte, ließ sich nur schwer vertreiben. Die Kinder litten unter Albträumen. Am schlimmsten natürlich Eliza.
    Doch auch Bays Kinder waren durch die Ereignisse aus der Bahn geworfen worden: die Verfehlungen ihres Vaters, der Mord, den er
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