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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Autoren: J. Courtney Sullivan
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müssen. Ihr Vater hatte ihr oft aus der Klemme geholfen, und sie war ihm dankbar gewesen. Aber sie hatte nie gefragt, was er mit dem Geld eigentlich vorgehabt hatte. Und zum ersten Mal fragte sie sich, wie Alice sich dabei gefühlt haben mochte.
    »Ich kann das nicht annehmen«, sagte Maggie. »Oder doch? Oh je. Aber ich zahle das zurück, Mama.«
    Kathleen schüttelte den Kopf: »Nein, es ist ein Geschenk. Ich wünschte, es wäre mehr.«
    War sie jetzt nicht doch einigermaßen selbstlos? Maggie brauchte sie, und sie war da. Ihr Vater wäre stolz gewesen.
    »Mit dem Geld kannst du einen Profikiller für Gabe anheuern«, sagte Kathleen, »oder Windeln kaufen. Das überlasse ich dir.«
    »Ganz schön viele Windeln«, sagte Maggie.
    »Du wirst dich noch wundern.«
    Kathleen blieb noch eine Woche, bis sie und Maggie eine neue Wohnung gefunden hatten: Sie hatte zwei Zimmer und lag weiter nach Brooklyn hinein gleich neben einem Park in einer Gegend, in der überall dominikanische Kinder herumrannten und regelmäßig ein Eiswagen seine kleine Melodie spielend durch die Straßen zottelte. Die Miete war sogar niedriger als die der alten Wohnung. Sollte Alice je zu Besuch kommen, würde sie die Gegend als lebensgefährlich deklarieren. Aber sie würde nicht zu Besuch kommen. Wenn Maggie wollte, dass ihre Großmutter und ihr Kind sich kennenlernten, würde sie das Baby zu Alice bringen müssen. Und das würde Maggie zweifellos tun, denn sie hatte von Daniel den Glauben an die Bedeutung des Verhältnisses zwischen den Generationen geerbt, daran, dass man das Leben mit Hilfe der Erfahrungen derer, die vor einem kamen, besser verstehen und meistern könne.
    Sie packten Maggies Sachen in Kisten und hörten dabei die Beatles. Zum Essen gab es was vom Imbiss nebenan, und Kathleen merkte schnell, dass ihre Hose enger wurde. Sie bestellten online Umstandskleidung, und Kathleen war freudig überrascht, dass die Sachen heutzutage tatsächlich normaler Kleidung ähnelten. Alberne Matrosenkleider und sackartige Schnitte wie noch zu ihrer Zeit gehörten der Vergangenheit an.
    Beim Arzttermin musste sie rausgehen, um sich auf der Damentoilette auszuweinen. Maggie sollte in Begleitung eines lieben, gutaussehenden jungen Mannes hier sein, der an ihrer Seite stand und ihre Hand hielt. Das hatte sie verdient. Als sie durch den Warteraum hinausgingen, saß dort eine Schwangere neben der anderen, alle mit dicken Brillanten am Finger, und Maggie wurde ein bisschen blass. Aber dann zuckte sie nur mit den Schultern: So ist eben das Leben.
    »Und was machst du, wenn ich nicht da bin?«, fragte Kathleen. »Kommst du dann alleine her?«
    »Ich könnte Allegra bitten, mich zu begleiten«, sagte Maggie. »Vielleicht lade ich einfach meine Freunde zum Abendessen ein und sag es allen auf einen Streich.«
    »Gute Idee«, sagte Kathleen. Der Gedanke, dass diese mutige junge Frau ihre Tochter war, erfüllte sie mit Stolz.
    Abends lagen sie nebeneinander in Maggies Bett. Kathleen wollte nicht weg, aber sie vermisste Arlo. Und die Hunde. Sie vermisste die Arbeit auf dem Hof und das Kochen mit Zutaten, die sie selbst vor der Haustür angebaut hatte.
    Außerdem fehlte ihr das Yoga. In Brooklyn stolperte man bei jedem Schritt über ein Yogastudio, aber Kathleens Yoga hatte nichts mit gertenschlanken Sechsundzwanzigjährigen in modischer Sportbekleidung zu tun. Für Kathleens Yoga saß man in einer Jogginghose neben Arlo hinterm Haus und blickte zu den Bergen in der Ferne, nicht durch ein dreckiges Fenster auf ein Meer von Taxis.
    Als Kathleen sich zum Flughafen auf den Weg machte, weinten beide.
    »Ich hab Angst«, sagte Maggie.
    »Das gehört dazu. Und vergiss nicht: Du kannst es dir wegen Kalifornien jederzeit anders überlegen. Okay?«
    »Danke«, sagte Maggie. »Ich hab dich lieb.«
    »Ich dich auch, Kleine.«
    Ein paar Stunden später saß Kathleen mit einer Tasse Ingwertee in der Hand barfuß neben Arlo am Küchentisch und erzählte nochmal genau, was seit ihrer Abreise vor zwei Wochen passiert war. Neben einem Strauß Tulpen stand ein Kürbiskuchen auf dem Küchentisch, auf dem sie die unförmigen, mit Zuckerguss geschriebenen Worte WILLKOMMEN ZUHAUSE entzifferte. Kathleen war mit sich und der Welt zufrieden.
    Die Hunde hatten sich rechts und links von ihrem Stuhl positioniert, als wollten sie sagen: Hier gehörst du her.

Alice
    A lice hatte ihn schon den ganzen Nachmittag über beobachtet. Sein rötliches Haar unterschied ihn von den anderen. Jetzt hielt
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