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Sommer in Lesmona

Sommer in Lesmona

Titel: Sommer in Lesmona
Autoren: Magdalene Marga; Pauli Berck
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mehreren
Offiziers-Ehepaaren. Ich ging mit Rudis früherem Freund, Dr. v. G., zu Tisch
und saß auf der anderen Seite bei einem Freund meines Schwagers Adolf. Mein
elfenbeinernes Abendkleid vom Herbst aus Seiden-Chiffon ist wirklich sehr
hübsch, aber es fehlte mir schon bei der Anprobe eine Blume. Künstliche Blumen
mag ich nicht leiden, obwohl wir beide bei Frau Visseur gelernt haben, sie
anzufertigen. Ich ging also vormittags zu Kommer, um mir eine frische Blume zu
kaufen. Da sagte Fräulein Kommer, der Bürgermeister bekäme heute abend ganz
wunderbare Kamelien. Wir suchten nun zwei rosenrote aus, die auf dem
Elfenbeinkleid sehr schön aussahen. Da ich zuerst die Eltern zum Osterdeich
fahren mußte, kam ich etwas spät, obwohl Heinrich — entgegen Papas sonstigen
Befehlen — die Pferde heute rennen ließ. Rudis Vater stand in der Tür des
großen Wohnzimmers, und zum ersten Mal strahlte mir wirklich Wärme von ihm
entgegen, als er meine Hände nahm und sehr reizend sagte: «Da bist du ja, mein
liebes Kind.» Der Tisch im Saal war ganz mit Kamelien belegt — nur in der Mitte
war eine große Schale mit aufstrebenden Kamelien in Rosa und Rot. Es sah
unwahrscheinlich schön aus — alle diese Farben und auch weiße mit rosa Adern.
Sehr, sehr vornehm war das Ganze mit altem Damast, den Kerzen und die
Ratsdiener in den roten Fräcken. Um so weniger wirst Du nun verstehen, daß
Deine entsetzliche Matti — während einer Gesprächspause mit meinen beiden
Nachbarn und beim Betrachten der alten Menschen mir gegenüber — diese plötzlich
bis zur Taille in Gedanken zu entkleiden begann. Die dicke Dame mit dem vielen
Schmuck und dem Speckhals und den neben ihr sitzenden großen, hageren Mann aus
Berlin mit den vielen Orden!! Ihr Fett und seine Knochen mit den Orden auf den
dürren Rippen hatten mir dieses Phantasiebild erstehen lassen. Neben ihm saß
eine kleine, schrumpelige Dame mit kaltem und hochnäsigem Gesicht, deren
doppelte Reihe Perlen den gelblichen und faltigen Hals weder verdecken noch
verschönern konnte. Wie kann man überhaupt hochnäsig sein, wenn man so häßlich
ist! Ich war schon dabei, auch die anderen auszuziehen, als mein Nachbar Dr. Achelis
von Schwager Adolf zu reden begann, den ich so sehr liebe! Adolf ist in der
Familie Retberg derjenige, der mir am nächsten steht. Er war in London an der
Botschaft, als ich letztes Jahr dort war, aber ich war zu furchtbar von meinem
Unglück mit Percy erfüllt, als daß ich imstande gewesen wäre, über mein
Zusammensein mit Adolf zu berichten, der oft zum Dinner zu Bercks kam. Nach dem
Essen besahen wir die Ahnenbilder, die an den Wänden des Saales hängen und die
in regelmäßiger Folge bis ins 17. Jahrhundert zurückgehen. Und ich dachte so
sehr an Rudi und daß er mich doch eines Tages noch lieben möchte, und ob ich
vielleicht diese Ahnenbilder noch einmal vervollständigen würde durch uns und
unsere Nachkommenschaft. Rudis Fernsein sprach viel lauter zu mir, als seine
Anwesenheit es getan hätte. Seine Kühle und alles mich so oft Kränkende fiel
weg, und ich sah nur seine Persönlichkeit vor mir und fühlte durch die Feme die
Macht, die er über mich hat. Als ich nachher fortging, war Rudis Vater noch
einmal sehr heb zu mir. Ich blieb bis zuletzt, um ihn zu erfreuen, und er saß
noch mit mir im Kaminzimmer und erzählte von den verschiedenen Personen, die
heute dagewesen waren und die ich zum Teil ausgezogen hatte. Dann brachte er
mich hinaus und gab mir den ersten Kuß auf die Stirn. Als ich die Treppe
hinaufsah, fragte er, ob Rudi mir Weihnachten oben sein Zimmer gezeigt hätte,
und als ich dies verneinte, sagte er: «Wie sonderbar.»
    Es ist so schön still hier, und ich
schreibe so gern abends spät. Viele Kamelien vom Eßtisch, welche die Hausdame,
Fräulein N., mir mitgegeben hatte, liegen neben mir in einer Schale. Sie sind
so herrlich, aber mit den Blumen ist es auch sehr merkwürdig. Die Rosen von
Percy oder die Jelängerjelieber, die er mir am Holthorster Feld vom Busche
pflückte und an meinem Sattel befestigte — kurz, jede Blume von ihm redete richtig mit mir. Ströme von Liebe gingen aus von ihnen und in mich hinein und
viele süße Geheimnisse, während Blumen ohne Liebe eben nur von ihrer eigenen
Schönheit und von ihrem eigenen Geheimnis sprechen.
    Nun aber endlich Gute Nacht.
Hoffentlich kannst Du das Bleistiftgeschmier lesen, und hoffentlich schlaft Ihr
längst und Du träumst von Deinem Kind, das bald in der Wiege liegen wird.
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