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Sommer in Lesmona

Sommer in Lesmona

Titel: Sommer in Lesmona
Autoren: Magdalene Marga; Pauli Berck
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Wildungen, den 4. Juli 93
    Bade-Logierhaus
    Liebe einzige Bertha!
    Also Anna und ich fuhren gestern nach
Wildungen, und ich erzählte Anna alles von Hans. Sie sagte, es wäre ganz
entsetzlich, und Papa würde furchtbar toben. Sie ist nun auch schon zehn Jahre
bei uns, und ich kann ihr ruhig alles anvertrauen.
    In Wildurigen war keiner an der Bahn.
Wir fuhren sofort ins Bade-Logierhaus. Ein Kellner brachte uns zu den Eltern
ins Wohnzimmer. Mama schickte Anna gleich mit meinem Gepäck in mein Zimmer und
sagte, sie sollte schon auspacken. Weder sie noch Papa gaben mir die Hand. Dann
legte Papa los: «Ich habe heute morgen einen Brief bekommen von einem Herrn H.
W. aus Lübeck, der um deine Hand anhält, er hätte dich in der Bahn getroffen.
Das ist doch gar nicht möglich, Tante Martha und Tante The haben dich doch in
ein Frauen-Coupe gesetzt, wie verabredet war. Antworte!» brüllte er mich an.
Ich: «Er kam trotzdem an der ersten Station herein.» Papa: «Du bist 17 Jahre,
du bist wohl verrückt, es ist ja eine Schande, daß dieser Mensch dich da so
überfällt und sich das alles hintenherum von Edda sagen läßt. Jetzt antworte
die Wahrheit, hat er gewagt, dich zu küssen?» Ich: «Das hat er nicht getan.»
Das schien ihn irgendwie zu beruhigen, aber er wetterte sicher noch eine
Viertelstunde weiter. «Du mußt ihm aber doch Hoffnung gemacht haben, denn sonst
hätte er mir doch nicht geschrieben. Antworte!» Ich sagte, ich hätte es mir
ganz schön gedacht, mich mit ihm zu verloben. Dann fragte er, wie oft und wo
wir ihn sonst noch getroffen hätten, und ich log, nur einmal in der Stadt. Zum
Schluß sagte er, er hätte ihm einen Brief geschrieben, den er wohl nicht gern
zweimal lesen würde, und es wäre eine Gemeinheit, ein siebzehnjähriges Mädchen
zu überfallen. Dann kam die entsetzliche Frage, wo er denn geblieben
wäre, als Frau Georgi mich empfangen hätte. Ich sagte, für den Augenblick wäre
er ins Closett gegangen. Als ich das sagte, drehte Mama sich rasch um und sah
aus dem Fenster, und ich merkte, daß sie lachte. «So», sagte er, «jetzt gehst
du zu Bett, und wir wollen dich heute nicht mehr sehen, und du bekommst kein
Abendbrot.»
    Ich war froh, als ich mit Anna in
meinem Schlafzimmer war. Mama schickte mir ein Glas Milch, und Anna gab mir die
herrlichen Schinken- und Wurstbrote aus unserem Reisekorb. In Richtung der Tür
steckte ich oft die Zunge heraus. Ich schlief wunderbar, und am anderen Morgen
wurde ich von Anna geweckt, die gleich mit meinem Frühstück hereinkam: Herr
Konsul ließe sagen, ich sollte heute auf dem Zimmer frühstücken und nachher ins
Wohnzimmer kommen.
    Mittlerweile war ich wütend geworden,
denn was hatte ich denn nun eigentlich getan! Ich ging also um ½ 10 herüber. Da
sagte Papa ohne Guten Morgen: «Wir fahren heute mit dem Wagen des Grafen
Pappenheim zur Eder und kommen erst gegen 6 wieder, du kannst hier bei Anna
bleiben. Es wäre ein Platz im Wagen für dich frei gewesen, aber ich muß mich
erst beruhigen und will dich heute noch nicht sehen. Ich frage dich nun heute
noch einmal sehr ernsthaft, hat dieser Mensch dich geküßt?» Da wurde ich
plötzlich wild und sagte: «Leider nein.» Damit rannte ich aus der Tür und warf
sie hinter mir zu. Dann lief ich rasch in mein Zimmer zu Anna und sagte: «Ich
will Papa nicht mehr sehen. Ich laufe jetzt zum Kopfwäschen zum Friseur, und
bis ich wieder da bin, sind sie ja wohl weggefahren.» Anna sagte, Mama hätte
schon sehr besorgt gefragt, ob ich viel weinte, und ich beschwor Anna, von
jetzt ab immer zu sagen, daß ich unentwegt schluchzte. Als ich vom Friseur
wieder heraufkam, war der Wüterich noch nicht weg, und ich stürzte sofort zu
den Bädern herunter und bestellte mir ein Fichtennadelbad. Nachher waren sie
Gottseidank weg, und ich beschloß, mir einen guten Tag zu machen.
    Zuerst lief ich zum Tennisplatz und sah
zu, wie die Engländer und Holländer spielten. Da traf ich die zauberhafte Mrs.
Goodridge aus London, die wir hier früher schon trafen und die Papa aus England
kennt. Wir haben lange zusammen geredet. Ihr Mann ist englischer
Marineoffizier. Dann ging ich in den Bazar und kaufte für Dich und für mich
zwei rote Ledergürtel, todchic, die werden zu unseren weißen Kleidern gut
aussehen. Ich schicke ihn morgen an Dich ab. Dann aß ich an der gräßlichen
langen Table d’höte mit lauter fremden Menschen zu Mittag. Ich hatte mir
ausgedacht, nach Tisch mit Anna einen Einspänner zu nehmen und uns einen
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