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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)
Autoren: Anna Maria Scarfò
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Freunde, an meine Wut, und setze mich neben ihn.
    »So ist es brav.«
    Die Stimmen des Chores höre ich nicht mehr. Auf der Straße ist kein Mensch. Alle sind bei der Messe. Hier sind nur wir beide.
    »Drehen wir eine Runde?«
    »Im Auto?« Das will ich nicht.
    »Lass uns ein bisschen rausfahren, damit wir allein sein können wie zwei richtige Verlobte.«
    »Im Auto?«, wiederhole ich und weiß nicht, was ich denken soll. Ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll.
    Ich zögere.
    Domenico steht auf. Und ich folge ihm. Er steigt in den Wagen. Ich auch. Er startet den Motor. Ich schlucke allen Speichel runter, den ich im Mund habe, denn ich habe Durst.
    … Sancta Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus …
    Der Wagen fährt auf der Straße, die nach Cirello führt, in Richtung Felder. Das Lied verlässt meinen Kopf, und ich verliere seine Worte in der Dunkelheit des Abends.
    Wird er mich küssen wollen? Oder wird er mehr wollen? Was mache ich, wenn er mehr will? … Warum bin ich nur eingestiegen? Warum bin ich nicht in der Kirche geblieben? Was ist, wenn meine Mutter das herausfindet? Oder mein Vater? Ich wollte so gern heute Abend singen. Was habe ich getan? Anna, was tust du?
    Unterwegs im Wagen sagen wir beide kein Wort. Ich schaue vor mich. Konzentriere mich auf die weiße Mittellinie der Straße. Wir verlassen das Dorf. Lassen die letzten Lichter hinter uns. Wir fahren über eine Brücke. Die weiße Linie ist verschwunden.
    Der Wagen biegt auf eine unbefestigte Straße ab. Domenico fährt geradeaus, ohne den Schlaglöchern auszuweichen. Rast schnell dahin. Bei jedem Stoß wird meine Wirbelsäule von unten bis ganz nach oben durchgeschüttelt. Ich klammere mich an den Haltegriff. Und bei jedem Ruck beiße ich mir auf die Zunge. Ich habe Angst.
    Genau wie an dem Tag dort draußen auf dem Feld. Es war ein Fehler, mitzugehen.
    Endlich fährt er langsamer und hält vor einem abgelegenen Haus. Es gibt kein Licht. Es gibt gar nichts hier. Zwischen den Zweigen der Mandarinenbäume mache ich die Silhouette einer Hütte aus. Domenico stellt den Motor ab. Die Scheinwerfer erlöschen.
    Ich sehe ihn an.
    Er grinst.
    »Lass uns zu der Hütte gehen, dort spielen wir ein bisschen und haben unseren Spaß.«
    Ich finde nichts, woran ich mich festhalten könnte.
    Also folge ich ihm.
    Das Dorf
    Der Hund der Nachbarn bellt. Anna und ihre Schwester wachen schreiend auf. Aurora und ihr Mann rennen in den Garten.
    »Mama, Mama … Papa, wer ist da, was ist los?«, ruft Anna und hält ihre Schwester fest umklammert: Sie haben sich auf einem ihrer Betten zusammengekauert, und ihre Augen richten sich ängstlich auf das Fenster.
    Aurora antwortet nicht. Annas Vater läuft in der Dunkelheit vor seiner Frau her.
    Der Zaun wurde durchgeschnitten.
    Wieder eine Nacht.
    Das Dorf lässt nicht locker.

Die Hütte
    D ie voll beladenen Mandarinenzweige neigen sich schwer zum Boden hin. Wir sind in der Dunkelheit aus dem Wagen gestiegen. Ihre Blätter streicheln mein Gesicht. Sie stechen. Schneiden. Ich lege meine Hand schützend über die Augen und gebe meine Handrücken den Kratzern dieser süß duftenden Klingen in der Nacht preis. Ein intensiver Geruch. Nach Erde und Orangen. Dunkel und säuerlich. Diese vom Mandarinenduft erfüllte Nachtluft steigt mir in die Nase und bis hinunter in den Magen.
    Ich höre Stimmen aus der Hütte. Bleibe wie erstarrt stehen. Rühre mich nicht. Ich bin ganz stark.
    »He, warum bleibst du stehen? Beweg dich!« Domenico versetzt mir einen Stoß. Seine Stimme klingt wieder hart. Nicht mehr so wie auf unserer Stufe.
    »Wer ist da? Wohin gehen wir?« Die Zweige neigen sich noch weiter und versperren den Rückweg.
    »Los, komm schon, du wirst deinen Spaß haben, vertrau mir. Es ist ein Spiel, ein schönes Spiel, und du bist doch lieb.«
    »Nein, Domenico. Bring mich zurück zur Kirche, bring mich zurück zur Kirche!«
    Mit all meiner Kraft versuche ich, meinen Arm loszureißen. Aber er hält ihn fest umklammert und zieht meinen ganzen Körper an sich.
    Liebe Madonna, hilf mir. Liebe Madonna, ich habe einen Fehler begangen. Ich hätte nicht mitkommen dürfen, aber jetzt hilf mir bitte, bring mich zu dir in die Kirche zurück. Bring mich zurück nach Hause!
    Ich schaue nach oben und bete. Aber dort kann ich nichts entdecken. Die reich beladenen Bäume verbergen den Himmel, meinen letzten Zufluchtsort. Ich muss auf der Erde bleiben. Und lande auf dem Boden. Auf meinen Knien. Meine Handflächen sind zerkratzt und
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