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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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schließlich, »hast du deine Freunde besucht?«
    »Ja, Dad.« Duane hatte Dale und die anderen am Spätnachmittag verlassen, als sie zum Spielen aufs städtische Spielfeld gegangen waren. Da hatte die Möglichkeit bestanden, daß der Alte einigermaßen nüchtern blieb und nach Hause zurückfuhr, bevor Dom ihn rauswarf.
    »Spring rein, Junge!« Der Alte sprach präzise und mit dem Südbos-toner Akzent, der nur herauskam, wenn er ernsthaft betrunken war.
    »Nein, danke, Dad. Ich fahr hinten mit, wenn's recht ist.«
    Der Alte zuckte die Achseln, zog wieder am Starter und ließ die Rostlaube an. Duane machte es sich hinten neben den Traktorersatzteilen bequem, die sie heute morgen geholt hatten. Er steckte Notizbuch und Stift in die Hemdentasche, duckte sich auf der Metallpritsche, spähte über die Seite und hoffte, der Alte würde diesen neuen GM-Schrotthaufen nicht ebenso in den Graben setzen wir die beiden letzten gebrauchten Laster, die sie gehabt hatten.
    Duane sah Dale und die anderen im trüben Licht die Main runterfahren, aber er glaubte, daß sie dieses Vehikel vorher schon mal gesehen hatten, daher duckte er sich auf der Pritsche, als der Alte an ihnen vorbeipreschte. Duane hörte den Ruf >Licht!<, aber der Alte achtete nicht darauf oder hatte es nicht gehört. Der Laster bog quietschend um die Ecke First Avenue, und Duane richtete sich auf und sah gerade noch das alte Backsteinhaus an der Ostseite - das Sklavenhaus nannten die Kinder der Stadt es, aber die meisten wußten nicht, warum.
    Duane wußte es. Es war das alte Thompson-Haus und war um 1850 eine Station der unterirdischen Eisenbahn gewesen. Duane hatte sich für die Fluchtroute der Sklaven interessiert, als er in der dritten Klasse war und darüber in der Stadtbücherei in Oak Hill nachgelesen. Außer dem Thompson-Haus hatte es noch zwei weitere Untergrund-Haltestellen in Creve Coeur County gegeben ... eine war ein altes Bauernhaus aus Holz gewesen, das einer Quäkerfamilie im Tal des Spoon River Richtung Peoria gehörte und vor dem Zweiten Weltkrieg abgebrannt war. Aber das andere hatte einer Familie in Duanes dritter Klasse gehört, und eines Tages war Duane einmal mit dem Fahrrad dorthin gefahren - achteinhalb Meilen hin, achteinhalb Meilen zurück -, nur um sich das Haus anzusehen. Duane hatte dem Jungen und seiner Familie den versteckten Raum hinter dem Schrank unter der Treppe gezeigt. Dann war er nach Hause gefahren. Der Alte hatte an jenem Samstag nicht getrunken gehabt, daher war Duane um eine Tracht Prügel herumgekommen.
    Sie fuhren an Mike O'Rourkes Haus und am städtischen Spielfeld nördlich der Stadt vorbei und bogen am Wasserturm nach Osten ab. Duane wurde auf der Pritsche durchgeschüttelt, als sie auf den Kiesweg kamen. Er duckte sich und machte die Augen zu, während Kies herumflog und Staub ihn einhüllte, ihn unter dem dicken Baumwollhemd am Hals kitzelte und sich in seinen Haaren und zwischen den Zähnen niederließ.
    Der Alte kam nicht von der Straße ab, aber er verpaßte um ein Haar die Ausfahrt zur County Road Six. Der Laster bremste, rutschte, schlingerte, kippte, richtete sich wieder auf, und dann hielten sie auf dem brechend vollen Parkplatz der Black Tree Tavern.
    »Dauert nur einen Moment, Duanie.« Der Alte klopfte Duane auf den Oberarm. »Nur den Jungs hallo sagen, dann fahren wir heim und kümmern uns um den Traktor.«
    »Okay, Dad.« Duane ließ sich tiefer auf die Pritsche sinken, lehnte den Kopf an die Rückwand des Fahrerhauses und zog das zerfledderte Notizbuch nebst Stift heraus. Es war jetzt völlig dunkel, die Sterne waren hinter den Bäumen nach dem Black Tree zu sehen, aber durch die Außentür drang so viel gelbliches Licht, daß Duane lesen konnte, wenn er die Augen zusammenkniff.
    Das Notizbuch war dick, schweißgetränkt und staubverschmiert, die Seiten fast zur Gänze mit Duanes winziger Schrift vollgeschrieben. Zu Hause in seinem geheimen Versteck im Keller hatte er fast fünfzig solcher Notizbücher.
    Duane McBride wußte, er wollte Schriftsteller werden, seit er sechs Jahre alt war. Duanes Lektüre - er las ganze Bücher seit er vier war -war stets eine andere Welt für ihn gewesen. Keine Flucht, da er selten eine Flucht suchte ... Schriftsteller mußten die Welt konfrontieren, wenn sie sie akkurat beobachten wollten ... aber dennoch eine andere Welt. Eine Welt voll mächtiger Stimmen, die noch mächtigere Gedanken vermittelten.
    Duane würde den Alten immer lieben, weil er mit ihm die Bücher und
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