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Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)

Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)

Titel: Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
Autoren: Jón Faras
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ersten Mal“, entgegnete Lilian und ignorierte großzügig Ninives wenig höflichen Gesprächseinstieg. Sie kramte einen eingeschweißten Keks aus der Bauchtasche ihres löchrigen Kapuzenpullovers hervor, riss die Folie auf und tunkte ihn mit etwas zu viel Schwung in den Kaffee. „Wie heißt du?“
    „Oh, entschuldige“, murmelte Ninive und beäugte den Keks in Lilians Hand mit Argwohn. „Ich heiße Ninive Solheim und bin…“
    „Ah, der Klon“, unterbrach Lilian abrupt und wirbelte den tropfenden, eingeweichten Keks in einer ausladenden aber unbestimmten Geste durch die Luft. „Ich habe davon gehört. Die haben dich echt gut zusammengebaut.“
    „Äh … Danke … schätze ich.“ Sie beobachtete weiterhin den Keks, während nun Lilians neugieriger Blick auf ihr ruhte. Ihr fiel auf, dass die Hände ihrer Gesprächspartnerin immer wieder zuckten, als wäre sie nervös. „Eigentlich wollte ich sagen, dass ich als Agentin des Sangre-Instituts an dieser Mission teilnehme, aber du hast es sicher besser zusammengefasst.“
    „Lass dich nicht dadurch irritieren“, Lilian hielt ihre Hand vor Ninive in die Luft, „ich habe eigentlich sehr ruhige Hände, aber wenn ich nachts zu wenig schlafe, brauche ich am Morgen meine Ration Kaffee, um meine Finger wieder unter Kontrolle zu bekommen.“
    „Konntest du letzte Nacht auch nicht schlafen?“
    „Ich war selbst schuld. Wenn ich anfange Klavier zu spielen, vergesse ich die Zeit.“
    „Ach du warst das?“, Ninives Blick hellte sich auf, „ich habe dich gestern gehört?“
    Ninive erzählte Lilian von der vergangenen Nacht und wie sie vor ihrer Abteiltür ihre Musik gehört hatte, bis die Erschütterung des Zuges sie schließlich unterbrach.
    „Weißt du, was das gewesen ist?“, fragte Ninive beiläufig. Lilian zuckte mit den Achseln.
    „Keine Ahnung, aber wenn der Zug erschüttert wird, dann muss etwas Ungewöhnliches passiert sein. Doch solange wir am Ziel ankommen …“ Sie deutete mit dem Kinn zum Fenster.
    Draußen erstreckte sich im grauen Licht des bewölkten Morgens eine weite Bucht, an deren Ende bereits die hohen Türme und Flugaufbauten des Aéroport Camaret zu sehen waren. Doch was Ninive – wie auch viele der anderen Mitreisenden im Speisewagen – deutlich mehr faszinierte, war das Meer. Die meisten Menschen hatten in den letzten drei Jahrzehnten ihre angestammte Stadt nicht mehr verlassen, und die wenigen, die es taten, reisten meistens zwischen den Großstädten hin und her und bekamen die wilde Landschaft dazwischen und vor allem das Meer oder die Berge nie zu Gesicht.
    Unter dem stürmisch-grauen Himmel war die See aufgepeitscht und trieb hohe Wellen in die geschützte Bucht. Gegenüber des Aéroport auf der anderen Seite der Bucht ragte eine felsige Landzunge weit in die Öffnung zum Meer hinein. Mit jeder größeren Welle verschwanden die Felsen in einem Vorhang aus Gischt. Ninive betrachtete das ferne Schauspiel der Naturgewalten, dann plötzlich verengte sie die Augen und legte die Stirn in Falten.
    „Was ist?“, fragte Lilian von der Seite, die offenbar interessierter Ninive als das Meer beobachtet hatte.
    „Ich … weiß nicht …“, gab Ninive zögernd zur Antwort, ich dachte, ich hätte etwas … gesehen.
    „Das ist alles neu für dich, hm?“ Lilian warf ihrerseits einen Blick über die Bucht, schien aber wenig beeindruckt.
    „Nein … ja, das ist neu für mich, aber das meine ich nicht“, entgegnete Ninive langsam. Sie spähte erneut zu den Felsen, als sich der nächste Gischtschleier legte. Ohne den Bick abzuwenden stand sie auf und ging zum Fenster. Dann konzentrierte sie sich auf ihre Augen, sammelte alle Energie. Sie spürte, wie sich ihre Gliedmaßen taub anfühlten, wie sie das Blut in ihren Ohren rauschen und in ihren Schläfen pochen hörte, wie sie alles auf ihren Blick fokussierte. Der Zug schwankte leicht auf den Schienen. Ninive klammerte sich mit den Händen an die kleine Reling unterhalb des Fensters, um nicht einfach umzukippen. Ihr Gleichgewichtssinn entglitt ihr. Und dann riss sie die Augen auf und bestand nur noch aus ihren Augen.
    Das Licht war gleißend und pulsierend, als ihr Blick vorwärts schnellte und die Umgebung scannte. Ein weiteres Schwanken des Zugs in einer langgezogenen Kurve und sie hätte beinahe ihren Fokus verloren. Doch dann erkannte sie die Muster in einem Meer aus Linien, die das Land zu beiden Seiten der Bucht formten. Sie fokussierte weiter auf die felsige Landzunge und fand dort
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