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Solange du schläfst

Solange du schläfst

Titel: Solange du schläfst
Autoren: Antje Szillat
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piepte es. Und dann war da plötzlich nur noch ein einziger, anhaltender Ton. Piiiiieeeep …
    Eine kühle Hand auf seiner kochend heißen Stirn.
    »Jérôme, hallo, Jérôme. Kannst du mich hören?«
    Hektische Schritte. Stimmen, die sich etwas zuriefen.
    »Beeilung! Beeilung! Wir verlieren ihn!«
    Etwas Eiskaltes auf seiner Brust.
    »Geladen!«
    »Weg vom Bett!«
    Ein schrecklicher Schlag. Jérôme sah sich selbst abheben. Ruckartig. Zuckend.
    »Noch mal!«
    »Geladen!«
    »Weg vom Bett!«
    Wieder flog er hoch.
    Piep, piep, piep, piep …

    »Anna, bist du wach?« Claudia steckte den Kopf zur Tür herein. »Jérômes Mutter ist am Telefon. Ich habe ihr gesagt, dass du schläfst, aber sie meint, dass sie dringend mit dir sprechen muss.«
    Ich richtete mich vorsichtig im Bett auf. »Schon gut. Gibst du mir das Telefon?«
    Claudia schlich durchs Zimmer, als befürchtete sie, mich durch ihre Schritte zu stören.
    »Kannst du kurz rausgehen?«
    Ich sah ihr den Widerwillen deutlich an, aber ich musste allein sein, damit ich Sabine die Frage stellen konnte, die mir so schmerzhaft auf der Seele brannte.
    »Was ist mit Jérôme? Ist er tot? Ich spüre ihn nicht mehr«, flüsterte ich in den Hörer, nachdem Claudia die Tür hinter sich zugezogen hatte.
    Kein Antwort.
    »Sabine? Bist du noch dran?«, krächzte ich.
    »Ja.« Sie räusperte sich. »Wie kommst du nur darauf?«
    »Ich hatte vorhin das Gefühl, als ob mein Herz stehen geblieben sei. Aber es war gar nicht meins … ich … es war Jérômes Herz. Ich habe …« Plötzlich kam mir alles so
unwirklich
vor. Ich wusste überhaupt nicht mehr, was Realität war und was Fantasie. Was mir selbst passierte und was Jérôme. In meinem Kopf schwirrte es. Und gleichzeitig fühlte ich mich so schrecklich hohl und leer.
    »Anna?«, rief Sabine besorgt. »Bist du noch dran?«
    »Ja.«
    »Ich bin im Krankenhaus. Jérôme geht es wieder gut. Du musst dir keine Sorgen machen.«
    »Wieder?«, flüsterte ich.
    »Es hat Komplikationen gegeben. Aber die Ärzte haben sie in den Griff bekommen«, erklärte sie ausweichend.
    Ich hielt die Luft an. »Was für Komplikationen?«
    »Jérômes Herz hat tatsächlich für einen Moment aufgehört zu schlagen«, sagte sie schließlich leise.
    Plötzlich schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Ich hielt den Hörer fest umklammert und konnte nicht sprechen. Tränen rannen mir übers Gesicht.
    »Aber jetzt ist alles wieder gut, Anna. Die Ärzte konnten ihn zurückholen. Er ist über den Berg. Ganz sicher.«
    »Ich hab solche Angst, Sabine. Ganz schreckliche Angst«, schluchzte ich.
    »Jérôme geht es gut. Ich fahre jetzt los und komme zu dir.«
    Ich hörte sie durch eine graue Wand aus Tränen und Verzweiflung, doch mein Herz erreichte sie nicht. Weil es irgendwie aufgehört hatte zu schlagen. Ich hatte Jérôme versprochen, ich würde mich um alles kümmern. Aber genau das hatte ich nicht getan. Weil ich nämlich gar nicht dazu in der Lage war. Weil ich kein bisschen stark und mutig war. Ich war ein jämmerliches Häufchen Elend. Schwach und zu nichts zu gebrauchen. Auf mich konnte Jérôme sich nicht verlassen.
    Ich schmiss das Telefon in die Ecke und schlug mir die Hände vors Gesicht.

30.
    Ich öffnete die Augen und blickte mich verwirrt um. Statt der weiß getünchten Decke meines Zimmers schaute mich Jan Delay im dunklen Nadelstreifenanzug und mit schwarzem Trilby-Hut auf dem Kopf an. Das war das Poster, das ich Jérôme vor Kurzem aus Spaß an die Wand gepinnt hatte.
    Erst da fiel mir wieder ein, wo ich war. Ich hatte Sabine gestern Abend darum gebeten, mich in Jérômes Zimmer übernachten zu lassen. Sie hatte sofort zugestimmt und es sogar geschafft, Claudia davon zu überzeugen.
    Regungslos blieb ich liegen und lauschte den Geräuschen, die durch das halb geöffnete Fenster drangen. Flöckchen bellte, das Hofgatter wurde knarrend geöffnet und ich hörte Jérômes Tante laut nach dem Hund rufen. Unterdrücktes Stimmengemurmel aus dem Erdgeschoss, eine Tür, die schwer ins Schloss fiel, dann wieder Stille.
    Ich schaute zur Seite und entdeckte Jérômes dunkelgraues Lieblingssweatshirt über der Stuhllehne. Mein Herz bekam einen kleinen Stich. Ob Jérôme es jemals wieder würde tragen können? Würde ich noch einmal sein Grübchenlächelnsehen? Konnte ich eines Tages wieder in seinen dunkelbraunen Augen versinken und dabei dieses warme Kribbeln in meinem Bauch spüren?
    Ich seufzte tief und drehte mich zur anderen Seite um. Für einen
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