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Solange am Himmel Sterne stehen

Solange am Himmel Sterne stehen

Titel: Solange am Himmel Sterne stehen
Autoren: Kristin Harmel
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Risiko mit jemandem wie dir eingehen.«
    Er starrt mich an. »Mit jemandem wie mir?«
    Ich fühle mich fürchterlich, aber genau wie Mamie dem Leben ihres Kindes den Vorrang eingeräumt und ihre eigenen Bedürfnisse hintangestellt hat, weiß ich, dass ich dasselbe tun muss. Das bin ich meiner Tochter schuldig. »Du bist wundervoll, Gavin«, versuche ich es ihm zu erklären. »Aber Annie hat in letzter Zeit so viel verloren. Sie braucht jetzt Stabilität. Nicht noch jemanden, der vielleicht wieder aus ihrem Leben verschwindet.«
    »Hope, ich habe nicht vor zu verschwinden.«
    Ich senke den Blick zum Boden. »Aber du kannst mir heute nicht versprechen, dass du für immer da sein wirst, oder?«, frage ich. Er gibt keine Antwort, daher fahre ich fort: »Natürlich kannst du das nicht. Und ich würde dich auch nie darum bitten. Aber ich kann niemanden in mein Leben lassen, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass er meiner Tochter wehtun wird.«
    »Ich würde niemals …«, beginnt er.
    »Es tut mir leid«, sage ich entschieden, und ich hasse mich selbst dafür.
    Ich sehe, wie er die Zähne zusammenbeißt. »Na schön«, sagt er schließlich. Und geht ohne ein weiteres Wort.
    »Es tut mir leid«, murmele ich noch einmal, lange nachdem er gegangen ist.
    Chanukka fällt dieses Jahr mit Weihnachten zusammen, und Alain beschließt, noch zu bleiben, damit wir die Feiertage gemeinsam begehen können. Annie verbringt die ersten zwei Dezemberwochen bei Rob, aber ich habe sie in der zweiten Monatshälfte bei mir, wenn Rob und seine Freundin auf die Bahamas fliegen. Das ermöglicht es Alain, Annie die jüdischen Feiertagstraditionen näherzubringen, und wir tauschen Geschenke und zünden die Kerze der Menora an, genau wie es Mamie vor siebzig Jahren getan haben muss, als sie noch glaubte, dass ein glückliches Leben mit Jacob vor ihr lag. Der Schmerz wegen ihres Todes hat sich noch nicht gelegt und hüllt uns ein wie Nebel, auch wenn ich mich an manchen Tagen frage, ob wir vielleicht eher ihr Leben betrauern als ihren Tod. Denn sie ist mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben, bald gefolgt von dem einzigen Menschen, der imstande war, das Puzzle zu vervollständigen, das sie, ohne dass wir es je wussten, zusammenzufügen versuchte.
    Es ist jetzt über einen Monat her, seit ich zuletzt von Gavin gehört habe. Es ist besser so, sage ich mir. Annie und ich sind eben dabei, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Sie beginnt eben, mir zu vertrauen. Ich kann da keinen Mann mit hineinziehen, nicht jetzt. Sie soll wissen, dass sie für mich immer an erster Stelle kommen wird.
    Alain versucht am letzten Tag von Chanukka, mit mir darüber zu reden, dem Tag, bevor er nach Paris zurückfliegt, aber er versteht es nicht.
    »Gavin sorgt sich um dich«, sagt Alain zu mir. »Er hat dir geholfen, erst mich und dann Jacob zu finden. Er war gut zu deiner Tochter. Das alles hätte er nicht tun müssen.«
    »Ich weiß«, antworte ich. »Er ist ein wundervoller Typ. Aber wir kommen gut ohne ihn zurecht.«
    »Ich weiß. Aber willst du ohne ihn zurechtkommen?«, fragt Alain, wobei er mich eindringlich auf eine Art ansieht, die mir verrät, dass er die Antwort bereits weiß.
    Ich weiche seinem Blick aus. »Ich brauche niemanden. Ich habe noch nie jemanden gebraucht.«
    »Wir alle brauchen Leute, die uns lieben«, sagt Alain.
    »Ich habe Annie«, entgegne ich.
    »Und mich.« Er lächelt.
    Ich erwidere sein Lächeln. »Ich weiß.«
    »Glaubst du denn nicht an die Liebe?«, fragt er nach einer langen Pause. »Hast du sie denn nicht sonnenklar zwischen Rose und Jacob gesehen?«
    Ich zucke zur Antwort nur mit den Schultern.
    Die Wahrheit, die ich Alain nicht erklären kann, ist, dass ich jetzt tatsächlich an die Liebe glaube, an die Art Liebe, die es zwischen Mann und Frau geben kann. Das ist Mamies Verdienst, und dafür werde ich ihr für immer dankbar sein, denn ich hatte nie damit gerechnet, dass ich diese Lektion einmal lernen würde. Ich nehme an, in dieser Hinsicht bin ich eben die Tochter meiner Mutter.
    Aber um mein Herz hat sich ebenso viel Eis gelegt wie um das Vogelfutterhäuschen, das auf der Veranda hinter unserem Cottage festgefroren ist. Dass es diese Liebe gibt, heißt noch lange nicht, dass auch ich dazu fähig bin. Manchmal, im Dunkel der Nacht, frage ich mich, ob ich überhaupt fähig bin, Annie richtig zu lieben, oder ob ich für immer die Kälte meiner Mutter geerbt habe. Annie ist mein Kind, und ich weiß, dass ich auf
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